„Meinst Du, die Russen wollen Krieg?“ – zum 70. Gründungstag der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft

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Befasst man sich einmal eingehend mit den in vielen Thüringer Zeitungen, vor allem solchen mit dem Anspruch „unabhängig und überparteilich“ zu sein, erschienenen Leserbriefen zum derzeit mehr als schlechten Verhältnis der BRD zur Russischen Föderation, fällt eines ganz besonders ins Auge: Zuschriften, in denen die von USA, NATO und EU betriebene gefährliche Droh- und Sanktionspolitik gerechtfertigt wird, sind die große Ausnahme. Es überwiegen eindeutig kritische Meinungen.

Von Hans-Joachim Weise 

 

Befasst man sich einmal eingehend mit den in vielen Thüringer Zeitungen, vor allem solchen mit dem Anspruch „unabhängig und überparteilich“ zu sein, erschienenen Leserbriefen zum derzeit mehr als schlechten Verhältnis der BRD zur Russischen Föderation, fällt eines ganz besonders ins Auge: Zuschriften, in denen die von USA, NATO und EU betriebene gefährliche Droh- und Sanktionspolitik gerechtfertigt wird, sind die große Ausnahme. Es überwiegen eindeutig kritische Meinungen, in denen sowohl die russlandfeindliche Politik als auch die schon den Charakter von Hörigkeit und Unterwerfung angenommen habende bedingungslose Gefolgschaft der BRD gegenüber der aggressiven Politik der USA abgelehnt werden. Das darf durchaus als positive Nachwirkung der in der DDR Staatspolitik gewesenen Erziehung im Geiste des Friedens, der Völkerverständigung und der Völkerfreundschaft im allgemeinen und hinsichtlich der Russischen Föderation sowie weiterer Nachfolgestaaten der UdSSR der Arbeit der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft im besonderen gewertet werden. Heutzutage wird vom strikt antikommunistisch, antisowjetisch und antirussisch geprägten Politik- und Meinungsmachebetrieb natürlich sofort behauptet, diese Freundschaft sei lediglich „verordnet“ gewesen. Freundschaft lässt sich jedoch ebenso wenig „verordnen“ wie die bei den III. und den X. Weltfestspielen der Jugend und Studenten geherrscht habende Fröhlichkeit. Dessen ungeachtet wird ja neuerdings sogar behauptet, die Gleichberechtigung der Frau sei „verordnet“ gewesen, was im Umkehrschluss hieße, die Frauen in der DDR hätten gar keine Gleichberechtigung gewollt. Noch eins drauf setzt mit Pfarrer Christian Dietrich, einem geschworenen Feind der DDR übrigens, der Leiter jener Behörde, für die auch die jetzige Landesregierung unter dem der Partei DIE LINKE angehörenden Ministerpräsidenten Bodo Ramelow weiterhin das Geld zum Fenster hinauswirft: Glaubt man seiner Behauptung, dann soll ja in der DDR alles nur „Zwang“ gewesen sein.

Wenn etwas verordnet wurde, richtiger gesagt verordnet werden musste, dann war es der nach dem Untergang des „Dritten Reiches“ unbedingt notwendige Prozess des Nach- und Umdenkens. Millionen von Menschen waren schon in der Weimarer Republik, noch mehr und noch schlimmer aber in den 12 Jahren faschistischer Diktatur antikommunistisch, antisowjetisch und antirussisch verhetzt und fanatisiert worden. Diesen Ungeist auszumerzen, um eine Wiederholung der bislang schlimmsten Katastrophe in der deutschen, europäischen und Weltgeschichte zu verhindern, hieß, Millionen von Menschen zu der Erkenntnis zu führen, dass sie einem verbrecherischen System gedient hatten und dass nun ein Neuanfang in ihrem eigenen Interesse unbedingt erforderlich war. Ein notwendigerweise vom Geiste des Antifaschismus geprägter Neuanfang aber war nur durch die Entwicklung eines neuen Verhältnisses zur Besatzungsmacht und damit letztlich zur Sowjetunion insgesamt möglich. Die wiederum setzte gründliche Kenntnisse vom wirklichen Leben in der UdSSR und damit auch von ihrer nationalen und kulturellen Vielfalt voraus.

So etwa lassen sich die Überlegungen von Oberst Sergej Tulpanow, Leiter der Informationsabteilung der Sowjetischen Militäradministration, zusammenfassen, die ihn bewogen, die Gründung der zunächst Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion genannten Vereinigung in die Wege zu leiten: Für den 14. Juni 1947 lud er mit dem Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Kuczynski, dem dänischen Schriftsteller Martin Andersen Nexö und dem Sänger und Schauspieler Ernst Busch anerkannte und integre Persönlichkeiten zu einem Gespräch in das Haus der Sowjetischen Kultur in Berlin ein. Ihnen unterbreitete Oberst Tulpanow nicht nur recht konkrete Vorstellungen zur Arbeit der zu gründenden Gesellschaft, sondern auch Vorschläge und Empfehlungen für die Zusammensetzung ihres Leitungsgremiums. Aus seiner Sicht kam als Präsident nur Jürgen Kuczynski in Frage, der nach der ersten Überraschung darüber angesichts der Wichtigkeit der zu lösenden Aufgaben auch seine Bereitschaft dazu erklärte. Völlig beim Punkt Null anfangen musste er allerdings nicht, waren doch bereits einige Landesgesellschaften ins Leben gerufen worden – zuerst am 13. Juni in Thüringen, am 14. Juni dann in Mecklenburg-Vorpommern, am 17. Juni war Sachsen und am 21. Juni Sachsen-Anhalt gefolgt. So fanden sich schließlich am 30. Juni 1947 aus allen Ländern der Sowjetischen Besatzungszone Vertreter ein, um in Berlin die Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion zu gründen. Ihr erster Präsident wurde Jürgen Kuczynski, als dessen Stellvertreterin trat die Schriftstellerin Anna Seghers an seine Seite. Mit anfangs etwa 2.200 Mitgliedern war die Gesellschaft zunächst vor allem eine Vereinigung von Intellektuellen, doch durch ihre unermüdliche Arbeit fasste sie nach und nach auch in weiten Teilen der Bevölkerung Fuß. Am 5. September erfolgte noch die Gründung der Landesgesellschaft Berlin, deren Vorsitz der Ethnologe Wolfgang Steinitz übernahm. Als letzte konstituierte sich am 12. September die Landesgesellschaft Brandenburg unter Vorsitz des Schriftstellers Bernhard Kellermann.

Die neue Gesellschaft hatte einen riesigen Berg Arbeit vor sich, die allenfalls mit dem sagenhaften Ausmisten des Augiasstalles in der griechischen Mythologie vergleichbar war. Das vom Faschismus verabreichte Gift saß tief und wirkte daher lange nach. So wurden wie auch heute unter den ab 1990 wieder hereingebrochenen Verhältnissen, in denen der Antikommunismus geradezu eine Art Staatsreligion darstellt, Untaten einzelner Militärangehöriger mit der geradezu doktrinären Formel „Mord, Vergewaltigung, Plünderung“ unzulässig verallgemeinert. Die dahinter steckende Absicht war und ist leicht zu erkennen, jedenfalls dann, wenn man genau nachdenkt: Die Befreiungstat der Sowjetarmee sollte und soll damit geschmälert, ja, geleugnet werden. Verdrängt wurde dabei, dass es zuvor Wehrmacht, Waffen-SS, Polizeiverbände und SD-Einsatzgruppen gewesen waren, die am 22. Juni 1941 millionenfach mordend, plündernd und vergewaltigend heimtückisch in die Sowjetunion eingefallen waren und ein verbrecherisches Besatzungs-, Ausplünderung- und Vernichtungssystem errichtet hatten. Dass Soldaten der westlichen Alliierten angesichts der durch den Krieg bewirkten allgemeinen Verrohung nachgewiesenermaßen nicht anders als manche sowjetische Militärangehörige handelten, soll da nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden. Es ist aber vor allem deshalb notwendig, weil angesichts der längst nicht mehr zu leugnenden Tatsache der Befreiung vom Faschismus insbesondere von konservativen Kreisen versucht wird, einen Keil zwischen die Alliierten zu treiben: Plötzlich gelten nämlich die westlichen Alliierten als eine Art „wahre Befreier“, die selbstverständlich keine derartigen Untaten und Verbrechen begangen haben sollen. Der sowjetischen Seite wird dagegen unterstellt, gemeinsam mit der KPD bzw. SED lediglich die faschistische Diktatur durch eine neue ersetzt zu haben. Dass jener mit dem Ausmisten des Augiasstalles vergleichbar gewesene Berg Arbeit nicht in wenigen Jahren abzutragen war, erwies sich spätestens am 17. Juni 1953: Als versucht wurde, zunächst berechtigte Arbeiterproteste in einen kapitalistischen Umsturz zu überführen, zeigte sich, dass acht Jahre nach der Befreiung immer noch faschistischer Ungeist das Denken und Handeln einer durchaus beachtlichen Zahl von Beteiligten beherrschte. Vielerorts sahen einstige Funktionsträger, so der Zwangsarbeiter misshandelt habende frühere Ortsbauernführer von Niederkrossen im Kreis Rudolstadt, ihre Stunde für gekommen an und gehörten zu den Anführern bei der Erstürmung, Plünderung und Verwüstung öffentlicher Einrichtungen sowie bei Misshandlungen und Lynchmorden. In Halle waren verurteilte Nazi- und Kriegsverbrecher nicht nur aus dem Gefängnis befreit, sondern auch umgehend und unwidersprochen als Wortführer geduldet worden, die dazu aufriefen, nach Berlin zu fahren und die Regierung Grotewohl zu stürzen.

Das zeigte, wie sehr der auf seinem II. Kongress 1949 in „Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft“ umbenannte Verband bemüht sein musste, bei vielen Menschen, vor allem aus bürgerlichen Kreisen und solchen, die einst der faschistischen Ideologie erlegen waren, die Bereitschaft zu wecken, kritisch über die Vergangenheit nachzudenken. Erst daraus konnte das notwendige Interesse erwachsen, durch die Beschäftigung mit dem wirklichen Leben das vom Faschismus eingehämmerte und mit dem Beginn des Kalten Krieges wiederauferstandene Zerrbild zu überwinden. Dieser schweren Aufgabe stellten sich angesehene Persönlichkeiten wie die Schriftsteller Willi Bredel, Bruno Bürgel und Ludwig Renn, der Regisseur Maxim Vallentin, die Maler Heinrich Ehmsen und Otto Nagel, der Architekt Hermann Henselmann, Wissenschaftler wie der Osteuropa-Historiker und Rektor der Universität Halle/Wittenberg, Eduard Winter, und Politiker wie Dr. Johannes Dieckmann, erster Präsident der Volkskammer und von 1963 bis 1968 auch Präsident der Freundschaftsgesellschaft. Eine wichtige Arbeit leisteten auch ehemalige Kriegsgefangene, die an Antifa-Lehrgängen teilgenommen hatten und vielfach auch im Nationalkomitee Freies Deutschland und im Bund Deutscher Offiziere tätig gewesen waren. Dem dienten eine vielfältige und interessante Bildungsarbeit, Ausstellungen, Film- und Theateraufführungen sowie Auftritte sowjetischer Künstler, darunter des berühmten Alexandrow-Ensembles. Freilich blieb die Arbeit der DSF insbesondere in den von politischen und gesellschaftlichen Überspitzungen und Übertreibungen geprägten ersten 10 Jahren ihres Bestehens nicht von Rückschlägen und Schwierigkeiten verschont: Festveranstaltungen zu Jahrestagen der Oktoberrevolution sowie zu Geburtstagen Lenins und Stalins stießen bei dem Bürgertum entstammenden Mitgliedern häufig auf Vorbehalte oder gar Ablehnung. Gerade der um Josef Stalin betriebene Personenkult aber war in jener Zeit allgegenwärtig und wirkte sich naturgemäß auf die Tätigkeit der DSF aus. Praktisch keine Rolle spielte die Auseinandersetzung mit der unter ihm betriebenen Politik der „großen Säuberungen“. Gerade die heimgekehrten Überlebenden schwiegen dazu, nicht nur, weil ihnen das Schweigen zuvor auferlegt worden war. Sie sahen ja tagtäglich, wie Antisowjetismus und Antirussismus in Westeuropa wieder fröhlich Urständ feierten. Sie wussten, dass alle seitens der sowjetischen Führung begangenen Fehler, Fehlleistungen und auch Verbrechen der friedensgefährdenden Politik erst des „Eindämmens“ („Containment“) und dann des „Zurückrollens“ („Roll back“) dessen, was in Washington unter Kommunismus verstanden wurde, beste Munition liefern würden. Also schwiegen sie, weil sie glaubten, der Sowjetunion wie überhaupt dem Bau einer sozialistischen Gesellschaft mit einer offenen und öffentlichen Diskussion viel eher zu schaden als zu nutzen. Gewiss, heute ist es leicht, diese Haltung als großen Fehler zu sehen. Man kann sie nur vor dem Hintergrund der aufgeheizten Atmosphäre des Kalten Krieges verstehen. Verurteilen kann man wohl keines der unschuldigen Opfer jener „Säuberungen“ für diese Haltung. Wer gegenteiliger Meinung ist, muss freilich sagen, wie es unter den damaligen Bedingungen hätte anders und vor allem besser gemacht werden können.

Und dennoch – die Gesellschaft packte, ausgelöst durch einen Artikel von Rudolf Herrnstadt in „Neues Deutschland“ zum Thema „Über die Russen und über uns“, Themen an, die nicht nur heiß, sondern auch kontrovers diskutiert wurden. Das betraf das Verhalten einzelner Angehöriger der Roten Armee ebenso wie die deutschen Kriegsgefangenen in der UdSSR, die Oder-Neiße-Grenze und die mit ihrer Festlegung auf Grund der Potsdamer Beschlüsse aller vier Siegermächte vorgenommene Aussiedlung des größten Teils der deutschen Bevölkerung sowie die Demontage- und Reparationspolitik. Dabei fiel es aber auch so manchem schwer, die eigene deutsche Schuld zu begreifen – den heimtückischen Überfall, die schon genannte Besatzungs-, Ausplünderungs- und Vernichtungspolitik, die gegen jedes Kriegsvölkerrecht verstoßen habende Verschleppung und Ermordung tausender Angehöriger der Roten Armee in Konzentrationslagern, die „Politik der verbrannten Erde“. Nicht jeder war bereit, das anzuerkennen und wenn doch, dann war oftmals das abwehrend-erschrockene „Aber mit uns können die das doch nicht machen!“ zu hören. Ebenso gab es Leute, die nicht bereit waren, Lehren zu ziehen und die DSF stattdessen als von der SED dominierte „Russenorganisation“ verunglimpften. Natürlich hatte die führende Partei einen nicht geringen Einfluss auf die Arbeit der Organisation, sie war ja immerhin die konsequenteste Kraft bei der Entwicklung und Gestaltung eines von Völkerverständigung und Völkerfreundschaft geprägten Verhältnisses zur Sowjetunion. Ihre Bündnispartnerinnen wirkten dennoch aus Einsicht in dessen Notwendigkeit nicht weniger aktiv mit. Die von ihnen gestellten Präsidenten Prof. Dr. Johannes Dieckmann (LDPD) und Dr. Lothar Bolz (1968 bis 1978, NDPD) beispielsweise verstanden sich nie als bloße Aushängeschilder, sondern brachten viele eigene Ideen in die Arbeit ein. Dementsprechend souverän übten sie auch ihre Funktionen aus.

Bis 1987 wuchs die Gesellschaft auf 6,3 Millionen Mitglieder an, sie leistete, auch gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Organisationen wie dem FDGB, der FDJ und der Pionierorganisation, eine umfangreiche und bis heute nachwirkende Arbeit. Dazu gehörte die Vermittlung von Wissen über die mehr als 60 Völker und Völkerschaften der Sowjetunion, ihre Sprachen, ihre Kultur durch die von ihr herausgegebene Illustrierte „Freie Welt“. Die von jeder Ausgabe verkauften 350.000 Exemplare zeugen von einem regen Interesse breiter Kreise der Bevölkerung. Hinzu kamen Freundschaftszüge in die UdSSR, Partnerschaften zwischen Bezirken der DDR und Unionsrepubliken, Partnerschaften zwischen Universitäten und Hochschulen, Vermittlung von Briefverbindungen, vor allem durch das Jugendmagazin „Neues Leben“ sowie die Zeitungen „Junge Welt“ und „Die Trommel“, durch solche Kontakte ausgelöste Privatreisen und natürlich die so begehrten Angebote des Jugendreisebüros „Jugendtourist“. Freundschaftstreffen, vor allem mit Angehörigen der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte, in Betrieben und Einrichtungen gehörten zum Alltag. Ihre Wirkung war freilich davon abhängig, wie sie organisiert wurden: Eine hufeisenförmige Tafel mit den Gästen auf der einen, den Gastgebern auf der anderen und den die Reden haltenden und Trinksprüche ausbringenden Funktionären an der Stirnseite boten die denkbar ungünstigsten Möglichkeiten für persönliche Kontakte. Da, wo man bunt durcheinander saß, entwickelten sich, einige Anlaufschwierigkeiten nicht ausgeschlossen, nach und nach rege Gespräche. Die waren eine gute Hilfe beim Informieren über das Leben in unterschiedlichen Unionsrepubliken, über das Verhältnis zwischen den verschiedenen Nationalitäten sowie über den Alltag überhaupt. Beeinträchtigt wurde die Arbeit der DSF durch die sich ab 1986 entwickelnden Unsicherheiten im Verhältnis zwischen DDR und UdSSR: Was der neue Generalsekretär Michail Gorbatschow bei seinem Amtsantritt mit den Begriffen „Glasnost“ und „Perestrojka“ als neue Politik verkündet hatte, stieß vor allem bei Angehörigen der Intelligenz auf Interesse und Zustimmung, verhieß Hoffnung auch auf eine neue, allerdings mit sehr unklaren Vorstellungen verbundene, sozialistische Politik. Dabei schien jedoch niemandem aufzufallen, dass jene Gorbatschowschen Verkündungen und Verheißungen vor allem dort höchstes Lob ernteten, wo „Sozialismus einen Dreck wert ist“, wie es bei Erik Neutsch in „Spur der Steine“ so treffend heißt. Es schien auch niemandem aufzufallen, dass der Generalsekretär zwar viel verkündete, aber nichts von alledem in die Tat umsetzte. Statt Ordnung zu schaffen, sorgte er für eine Vergrößerung des Durcheinanders, anstatt ein wissenschaftlich begründetes funktionstüchtiges und leistungsfähiges Wirtschaftssystem ausarbeiten zu lassen, kehrte er das Verhältnis einfach um: Aus der bürokratischen Kommandowirtschaft wurde die perfekte Anarchie. Als durchsickerte, dass die sowjetische Führung, ausgelöst durch einen vom Diplomaten Wjatscheslaw Daschitschew am 27. November 1987 auf einer Sitzung des wissenschaftlich-konsultativen Beirats beim Amt für sozialistische Länder Europas des Außenministeriums der UdSSR gehaltenen Vortrag, zusehends Bereitschaft zeigte, die DDR als ihren treuesten, zuverlässigsten und wirtschaftlich immer noch am besten dastehenden Verbündeten in der vollkommen illusorischen Vorstellung, so das eigene Überleben sichern zu können, fallenzulassen und an die BRD auszuliefern, begann die Entfremdung zwischen beiden Staaten ihren Lauf zu nehmen. Zwar wurde das der Öffentlichkeit weitgehend verschwiegen, womit erneut ein schwerer Fehler begangen wurde, doch war aus der Presse, insbesondere „Neues Deutschland“, zu ersehen, dass die sowjetischen Führung, wenn auch homöopathisch dosiert, nun mit früheren Untaten und Verbrechen konfrontiert wurde. Nicht ohne Grund häuften sich beispielsweise Presseberichte über die Bemühungen führender Funktionäre der KPD, vor allem von Wilhelm Pieck, unschuldig verdächtigte und inhaftierte Mitglieder freizubekommen. Das löste, insbesondere bei Angehörigen der Intelligenz, zum Teil recht heftige Diskussionen aus. Hauptpunkt der Kritiken war die dadurch ausgelöste Unsicherheit: Zwar wurden die Entartungen und Verbrechen immerhin indirekt benannt, doch unterblieb die erwartete klare Stellungnahme der politischen Führung sowohl hinsichtlich des Umgangs mit den Tatsachen als auch der künftigen Entwicklung des Verhältnisses zwischen DDR und UdSSR. Die DSF blieb von all dem natürlich nicht unberührt, musste über die weitere Ausrichtung ihrer Arbeit nachdenken. Das jedoch war stets eine Gratwanderung, galt doch immer und überall der Grundsatz, dem Gegner „nicht auch noch die Munition zu liefern“. Der gesamten politischen Führung der DDR fehlten Gelassenheit und Souveränität im Umgang mit Problemen. Dabei war doch bekannt, dass bundesdeutsche Politik und Propaganda alles für sich zunutze zu machen suchten, was sich auch nur annähernd gegen die DDR missbrauchen ließ. Es war dabei völlig gleichgültig, ob etwas positiv oder negativ war, die Auslegung erfolgte bei allem und jedem stets zu ihren Ungunsten. Einige Beispiele derartiger Verunglimpfungs- und Negativierungspolitik schilderte der Neffe von Karl Liebknecht, Prof. Dr. Kurt Liebknecht, als Architekt langjähriger Präsident der Bauakademie der DDR, in seinem Erinnerungsbuch „Mein bewegtes Leben“ wie folgt: „Es war zu erwarten, daß unsere offen geäußerten Meinungen sofort zu Reaktionen in westlichen Zeitungen führen würden. Hatte man uns vorher nicht genug des bloßen 'Nachbauens' sowjetischer Vorbilder beschuldigen können, so erregte nun der Umstand, daß wir die sowjetische Auseinandersetzung mit überladenen und zu teuren Fassaden nur bedingt auf uns bezogen, erneute Gehässigkeiten. Man konstatierte 'Gegensätzlichkeiten zwischen Chrustschow und Ulbricht', gar eine 'Abtrünnigkeit Pankows' – nur eines nicht: unser ehrliches Suchen, eine dem sozialistischen Staat entsprechende, zweckmäßige und schöne Architektur zu schaffen.“ Einen tiefen Einschnitt erfuhr die Arbeit der DSF durch die jener fehlenden Gelassenheit und Souveränität geschuldete einsame Entscheidung von Erich Honecker und Joachim Herrmann, die Zeitschrift „Sputnik“ aus der Liste des Postzeitungsvertriebes zu streichen. Der davon völlig überraschte Minister für das Post- und Fernmeldewesen, Rudolph Schulze (CDU), wurde ganz einfach vor vollendete Tatsachen gestellt. Tatsächlich waren in dieser Zeitschrift mittlerweile etliche Beiträge erschienen, die in Inhalt und Wortwahl in vielem dem entsprachen, was bislang von den Propagandazentralen der Verfechter des Kalten Krieges verbreitet worden war und nun bei diesen eitel Freude auslöste. Es handelte sich um durchaus fragwürdige Beiträge, doch war den dadurch ausgelösten Diskussionen keineswegs zu entnehmen, dass etwa die Freundschaft zu den Völkern der Sowjetunion auf dem Spiel gestanden hätte. Mit dieser Streichung aber, die zurückzunehmen deren Initiatoren unter keinen Umständen bereit waren, wurde erst recht Öl in das Feuer gegossen. Die SED, aber auch ihre Bündnispartnerinnen sowie gesellschaftliche Organisationen, allen voran DSF und FDGB, erlebten Austritte von Mitgliedern. Die meisten von diesen hatten freilich den „Sputnik“ nie gelesen, aber das vom bundesdeutschen Politik- und Meinungsmachebetrieb mit Vorbedacht gewählte Wort „Verbot“ ließ irrationale Gefühlsaufwallungen zum Überkochen bringen. Die von der BRD geförderte antikommunistische „DDR-Opposition“, deren Vertreter vielfach mehr oder weniger regelmäßig beim CIA-Vertreter in der USA-Botschaft, Imre Lipping, zu Gast waren, lief mit ihrem Geschrei von einer Einschränkung der Pressefreiheit zur Hochform auf. Erich Honecker und Joachim Herrmann standen nun nach zwei Seiten mit dem Rücken zur Wand: Der wachsenden Entfremdung zur sowjetischen Führung, die allerdings von dieser selbst ausgelöst worden war, schloss sich die durch die Parteiführung verschuldete wachsende Entfremdung zur eigenen Bevölkerung an. Die ohne jegliche Legitimation erfolgte Auslieferung der DDR an die BRD durch die Marionettenregierung der nur durch völkerrechtswidrige äußere Einmischung ans Ruder gekommenen gewendeten Blockpartei CDU riss der Freundschaftsgesellschaft wie nahezu allen gesellschaftlichen Organisationen den Boden unter den Füßen weg. Mit der absichtsvollen Zerstörung der Wirtschaftsstruktur durch die ungetreue Breuelsche „Treuhandanstalt“ verschwand die Mehrzahl der Betriebe samt der von ihnen gebotenen Arbeitsplätze. Mit ihnen zerfielen die Grundeinheiten der DSF ebenso wie die betrieblichen Organisationen der Gewerkschaft, des Jugendverbandes und der Kammer der Technik. Politisch-ideologisch feierten längst überwunden geglaubter Antikommunismus, Antisowjetismus und Antirussismus wieder fröhlich Urständ. Brief- und persönliche Freundschaften, namentlich mit Bürgern nichtrussischer Unionsrepubliken, zerbrachen oder wurden zumindest auf eine harte Probe gestellt. Wer beispielsweise die sogenannten Unabhängigkeitserklärungen der Estnischen, Lettischen und Litauischen SSR als Ausdruck des Wiederaufflammens des bürgerlichen Nationalismus und der Zerstörung der Sowjetunion kritisierte sowie vor dem damit unweigerlich verbundenen Rückfall in den Kapitalismus warnte, stieß mindestens auf taube Ohren. Dennoch war die Arbeit der Freundschaftsgesellschaft nicht gänzlich zu zerstören gewesen, rangen doch einige tausend ihrer Mitglieder, die den Mut nicht verloren hatten, um Erhalt und Erneuerung. Ergebnis dieser nicht hoch genug zu würdigenden Bemühungen waren sechs regionale Freundschaftsgesellschaften, darunter die „Berliner Freunde der Völker Russlands“. Mit der 1994 errichteten Stiftung West-Östliche Begegnungen gelang es, das aus den Beitragszahlungen stammende Vermögen der DSF dem begehrlichen Zugriff jener nach ihrem Leiter „Papier-Kommission“ genannten Einrichtung zu entziehen.

Natürlich darf nicht vergessen werden, dass es auch in der BRD Bemühungen gab, allem staatsoffiziell gepredigten Antikommunismus und Antisowjetismus zum Trotz ein zumindest sachliches Verhältnis zur Sowjetunion zu entwickeln. Diese gingen vor allem von der 1950 in Duisburg-Homberg gegründeten Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft aus. Obwohl diese angesichts der herrschenden staatlichen Repression nie eine Massenorganisation werden konnte, hatte die Regierung Adenauer in ihrer antikommunistischen Hysterie soviel Angst davor, dass sie deren Verbot mit allen Mitteln betrieb: Zunächst wurden in einzelnen Bundesländern entsprechende Verfügungen erlassen, danach erfolgte 1955 das Verbot auf Bundesebene. Bis 1956 war die DSF der BRD vollständig liquidiert worden. Ironie der Geschichte war dabei, dass im gleichen Jahr 1955 Bundeskanzler Adenauer erstmals die Sowjetunion besuchte, wobei auch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Staaten vereinbart wurde. Ebenso wie SED, FDGB und FDJ bestand die DSF in der Besonderen Politischen Einheit Berlin (West). Von Gründung an in den damaligen Westsektoren ohnehin einer wüsten antikommunistischen und antisowjetischen Hetze ausgesetzt, führte sie ihre Arbeit nach der Grenzschließung am 13. August 1961 unter dem Namen Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft Westberlin unter schwierigsten Bedingungen fort.