Die einzige deutsche Friedensarmee?

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Vor 60 Jahren wurde die NVA gegründet. Für manche war es der personifizierte Teufel, für andere nur eine notwendige Armee im Kalten Krieg und für einige bleibt sie die einzige deutsche Friedensarmee.

Von Hans-Joachim Weise 

 

Das Jahr 1955 war eine entscheidende Zäsur in der deutschen, europäischen und Weltgeschichte: Nach den am 24. und 27. Februar vom Bundestag ratifizierten Pariser Verträgen trat die BRD mit der Nordatlantikpakt-Organisation (NATO) dem auch heute noch aggressivsten und für den Frieden in der Welt gefährlichsten Militärbündnis bei. Damit hatte die von der Regierung Adenauer gegen alle Proteste durchgesetzte Westintegration ihren organisatorischen Abschluss gefunden, womit auch die deutsche Spaltung vollendet war. Von jetzt an gab es endgültig zwei deutsche Staaten, zwei grundverschiedene Deutschlands, die beide Völkerrechtssubjekte waren. Hand in Hand mit dem NATO-Beitritt gingen die Schaffung eigener Streitkräfte in Gestalt der von Anfang an als Wehrpflichtarmee aufgestellten Bundeswehr sowie unter Missachtung der im Potsdamer Abkommen auferlegten Verpflichtungen die Wiederankurbelung der eigenen Rüstungsindustrie. Aufgebaut, geprägt und befehligt wurde sie von ungeachtet ihrer Verantwortung für Kriegsverbrechen der Wehrmacht des „Dritten Reiches“ eigens dazu reaktivierten Generalen wie Hans Speidel, Adolf Heusinger, Heinz Trettner und Johannes Trautloft, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Mit Adolf Galland war sogar einer der persönlichen Lieblinge Hitlers vorgesehen, wogegen sich die USA dann doch zum Einspruch genötigt sahen. Als Rechtfertigung für NATO-Beitritt, Aufrüstung und Remilitarisierung musste die Lüge von der angeblichen „Bedrohung aus dem Osten“ herhalten. Es war eine Lüge, denn militärisch wurde die BRD von niemandem bedroht, schon gar nicht von der DDR. Wenn überhaupt von einer „Bedrohung“ gesprochen werden kann, dann war es eine der gesellschaftlich-moralischen Art, hatten doch die trotz ihrer Schuld an den beiden bislang schlimmsten Katastrophen in der deutschen, europäischen und Weltgeschichte wieder an die Macht gebrachten alten großbürgerlichen Eliten Angst vor der Beispielwirkung des Baus einer Frieden und sozialer Gerechtigkeit verpflichteten Gesellschaft. Dass sie sich einem ehrlichen und friedlichen Wettstreit der Systeme strikt verweigerten, bewies, dass sie selbst nicht von der dauerhaften Überlegenheit ihres Kapitalismus überzeugt waren. So setzten sie neben der politischen, juristischen und wirtschaftlichen Aggression vor allem auf die militärische Karte, um die DDR „zum Verschwinden zu bringen“ (Egon Bahr) und auf ihrem Staatsgebiet den kapitalistischen Umsturz herbeizuführen. Dazu kam die Nichtanerkennung der infolge des vom „Dritten Reich“ angezettelten und mit seinem Untergang geendet habenden Krieg gezogenen Grenzen einschließlich Gebietsforderungen der BRD an Polen, die UdSSR und auch die ČSR. Nicht umsonst träumte Bundeskanzler Konrad Adenauer vom „Marsch der Bundeswehr mit klingendem Spiel durch das Brandenburger Tor“ und Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß verlangte schon bald darauf auch die Verfügungsgewalt über Kernwaffen. Adenauer selbst hatte bereits am 20. Juni 1952 diese aggressive und friedensbedrohende Politik im „Rheinischen Merkur“ mit der so falschen wie verlogenen Behauptung öffentlich gemacht: „Es gibt nur ein Deutschland, das deutsche Bundesrepublik heißt, und was östlich von Elbe und Werra liegt, sind unerlöste Provinzen.“ Es gehe nicht um Wiedervereinigung, sondern „um Befreiung des Verlorenen.“ Im Bundestag hatte er ebenso verkündet: „Wir sprechen immer, meine Freunde, von der Wiedervereinigung. Sollten wir nicht lieber sagen zur Befreiung des Ostens.“ Die sich daraus für die DDR wie auch für weitere sozialistische Länder ergebende militärische Bedrohung war damit keine Fiktion, sondern eindeutig und real vorhanden. Konkrete Aggressionspläne wie die schon 1950 im Eifelkloster Himmerod ausgearbeiteten waren von der DDR ebenso enthüllt und öffentlich gemacht worden wie 1959 jener bereits 1955 ausgearbeitete berüchtigte „DECO II“: „Die Operation DECO II sieht ein schlagartiges Zusammenwirken von Land-, Luft- und Seeverbänden, Propagandaeinheiten und den vor Anlaufen der militärischen Operationen nach Ostberlin und strategisch wichtigen Punkten der SBZ zu infiltrierenden militärischen Einheiten vor.“ Und weiter: „Die nach Ostberlin eingeschleusten Verbände der 3. LSKG in Zivil besetzen zum Zeitpunkt ‚E’ schlagartig sämtliche sowjetzonalen staatlichen und militärischen Dienst- und Kommandostellen, Telegrafen- und Fernsprechämter, Reichsbahn- und Stadtbahnhöfe, Rundfunksender, Großverlage, Staatsreservelager, Industrie- und Hafenanlagen, Ausfallstraßen und Grenzkontrollpunkte ...“ Bei den alle zwei Jahre durchgeführten NATO-Planspielen „Wintex“ wurde theoretisch der Atomkrieg geprobt. Schon 1955 war bei dem NATO-Luftwaffenmanöver „Carte Blanche“ der Abwurf von 335 Atombomben auf DDR-Städte simuliert worden! Mit der Forderung „Aus dieser sogenannten Deutschen Demokratischen Republik darf nichts werden!“ („Badische Neueste Nachrichten“ vom 26. Mai 1956) war die Marschlinie Bonner Politik nochmals in aller Eindeutigkeit, Offenheit und Brutalität bekräftigt worden.

Das war die Ausgangslage, in der sich die DDR nach der sturen Ablehnung oder gar Missachtung aller Vorschläge zu einer Verständigung zwischen beiden deutschen Staaten gezwungen sah, reguläre eigene Streitkräfte aufzustellen und am 14. Mai 1955 dem Warschauer Vertrag als dem Verteidigungsbündnis der sozialistischen Länder beizutreten, um die militärische Bedrohung durch BRD und NATO abzuwehren. Bislang hatte sie mit der am 1. Juli 1952 als Antwort auf die Schaffung des ausschließlich an ihrer und der Westgrenze der ČSR stationierten paramilitärischen Bundesgrenzschutzes gegründeten Kasernierten Volkspolizei lediglich dem Innenministerium unterstehende und ebenfalls paramilitärische Einheiten unterhalten, wozu noch kleinere Verbände zum Schutz des Luftraumes (VP-Luft) und der Seegrenzen (VP-See) kamen. So beschloss die Volkskammer in ihrer 10. Sitzung am 18. Januar 1956 gemäß Artikel 5 und 112 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik das „Gesetz über die Schaffung der Nationalen Volksarmee und des Ministeriums für Nationale Verteidigung“. In der Aussprache dazu hatte unter anderem Abgeordneter Fritz Panteleit (DBD) gesagt: „Das Leben hat mich gelehrt, dass zu dem Brot, das die Arbeiter und Bauern in ihrem Staat schaffen, auch das Gewehr gehört, denn sonst wird es von den Feinden des Volkes geraubt und verzehrt.“ Am 1. März wurde die Nationale Volksarmee offiziell gegründet und am 30. April übergab der bisherige Innen- und nunmehrige Verteidigungsminister Generaloberst Willi Stoph (seit 1959 Armeegeneral) in einer feierlichen Zeremonie dem ersten Regiment die Truppenfahne. Diese Armee war keineswegs eine lediglich mit neuen Uniformen und Waffen ausgestattete Kasernierte Volkspolizei: Mit jedem ihrer Angehörigen waren zuvor Gespräche darüber geführt worden, ob er bereit und fähig war, seinen Dienst in der NVA und unter deren ganz anderen Bedingungen fortzuführen. Wer den Willen und die Eignung dazu hatte, wurde übernommen, wer nicht, dem wurde eine andere Tätigkeit vermittelt.

Als Vorleistung für mögliche Abrüstungsverhandlungen zwischen Warschauer Vertrag und NATO im Allgemeinen sowie DDR und BRD im Besonderen hatte sie bei ihrer Gründung den Status einer auf eine Personalstärke von 90.000 Mann begrenzten Freiwilligenarmee. Das heißt freilich nicht, dass Partei- und FDJ-Leitungen in Betrieben und Einrichtungen hinsichtlich der Gewinnung von Freiwilligen passiv waren. Die Überzeugungskraft war dabei recht unterschiedlich, zumal in jener von Überspitzungen und Übertreibungen leider nicht frei gewesenen Zeit auch Zuflucht zu sogenannten „Holzhammermethoden“ genommen wurde. Wer einmal den mehrteiligen und hinsichtlich seiner realistischen Darstellung sehr empfehlenswerten Film des DDR-Fernsehens „Die lange Straße“ (in der Hauptrolle: Alfred Müller) gesehen hat, konnte das am Beispiel der Kampfgruppen erleben: „Bist Du für den Frieden, gehst Du in die Kampfgruppe!“, lautete ein solches „Holzhammer“-Argument, worauf sich der Betreffende die ironische Antwort „Du bist der geborene Agitator!“ anhören musste. Insgesamt gab es jedenfalls sehr wesentliche und ihr zur Ehre gereichende Unterschiede zwischen Nationaler Volksarmee der DDR und Bundeswehr der BRD: Das Offizierskorps bestand zum großen Teil aus Menschen, die aus Arbeiterfamilien stammten, im antifaschistischen Widerstand gewesen waren, in den Internationalen Brigaden die Spanische Republik gegen die Franco-Putschisten und ihre Unterstützer aus Hitler-Deutschland und Mussolini-Italien, an der Seite der Roten Armee oder in sowjetischen, slowakischen, jugoslawischen, französischen, belgischen, niederländischen, italienischen oder griechischen Partisaneneinheiten gegen den Faschismus gekämpft und dabei militärische Erfahrungen gewonnen sowie in den 1950er Jahren eine Generalstabsausbildung in der UdSSR abgeschlossen hatten. Dazu gehörten unter anderem Heinz Hoffmann (1910 bis 1985, ab 1957 erster Stellvertreter des Ministers für Nationale Verteidigung, 1960 bis 1985 Minister für Nationale Verteidigung), Friedrich Dickel (1913 bis 1993, erster Chef der Politischen Verwaltung, 1963 bis 1989 Minister des Innern und Chef der Deutschen Volkspolizei) und Ewald Munschke (1901 bis 1981, erster Chef der Verwaltung Kader). Andere wie Willi Stoph (1914 bis 1999, erster Minister für Nationale Verteidigung) und Heinz Keßler (geb. 1920, erster Chef der Luftstreitkräfte) waren antifaschistische Widerstandskämpfer gewesen, denen die militärischen Kenntnisse in der Wehrmacht des „Dritten Reiches“ eingebleut worden waren. Letzterer lief 1941 zur Roten Armee über, deren Angehöriger er von 1942 bis 1945 war, besuchte eine Antifa-Schule und gehörte zu den Mitbegründern des Nationalkomitees Freies Deutschland. Waldemar Verner (1914 bis 1982, erster Chef der Seestreitkräfte) war 1933 in das zeitweilig bestanden habende KZ Colditz verschleppt worden, von 1935 bis 1938 in sowjetischer Emigration und von 1938 bis 1945 im illegalen Widerstandskampf in Dänemark tätig gewesen. Ein Teil des Offizierskorps kam aus der Wehrmacht des „Dritten Reiches“, Menschen, denen durch ihre adlige oder bürgerliche Herkunft die militärische Laufbahn größtenteils vorbestimmt gewesen war. Ihre Zahl war, gemessen an den in die Bundeswehr der BRD übernommenen und größtenteils für Nazi- und Kriegsverbrechen verantwortlich gewesenen Offizieren, klein. Das freilich war keineswegs der wichtigste Unterschied gewesen: Während erstere aus ihrer Vergangenheit und der bislang schlimmsten Katastrophe in der deutschen, europäischen und Weltgeschichte allenfalls eine Schlussfolgerung gezogen hatten, es nämlich „beim nächsten Mal besser zu machen“, also den Zweiten Weltkrieg nachträglich gewinnen wollten, war das in der NVA völlig anders gewesen. Ihr stellten sich Menschen zur Verfügung, die ihren Soldaten durch Begreifen der Aussichtslosigkeit der Lage und frühzeitige Kapitulation das Leben gerettet, aus den grauenhaften Niederlagen wie der im Kessel von Stalingrad oder in der Kriegsgefangenschaft in einem für sie sicherlich schwierigen und auch quälenden Prozess des Nach- und Umdenkens den verbrecherischen Charakter der faschistischen Diktatur erkannt und die Schlussfolgerung gezogen hatten, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um deren baldmöglichen Sturz zu erreichen. Viele waren dafür von faschistischen Gerichten in Abwesenheit zum Tode verurteilt, die Familienangehörigen in sogenannte „Sippenhaft“ genommen worden. Aktive Arbeit im Nationalkomitee Freies Deutschland und im Bund Deutscher Offiziere als Frontbevollmächtigte, Lehrer in Antifa-Schulen, Rundfunksprecher und -kommentatoren sowie Redakteure antifaschistischer Zeitungen und nach der Befreiung 1945 die Bereitschaft, bei der Ausrottung des faschistischen Ungeistes und beim Wiederaufbau mitzuhelfen – das alles unterschied sie von den allermeisten der in die Bundeswehr übernommenen Wehrmachtsoffiziere ebenso wie die Erkenntnis, dass der junge Staat DDR durch eine auf sein „Verschwinden“ gerichtete Politik in seiner Existenz bedroht war. Zu diesen aller Ehren werten Offizieren gehörten unter anderem Wilhelm Adam (1893 bis 1978, bis 1958 als Oberst Kommandeur der Hochschule für Offiziere in Dresden, 1977 Generalmajor a.D.), Bernhard Bechler (1911 bis 2002, ab 1957 als Generalmajor Stellvertreter des Chefs des Hauptstabes), Arno von Lenski (1893 bis 1986, als Generalmajor erster Chef der Panzertruppen), Walter Lehweß-Litzmann (1907 bis 1986, als Oberst erster Kommandeur der Fliegerschule Kamenz, ab 1959 Direktor des Flugbetriebes der Interflug), Vincenz Müller (1894 bis 1961, als Generalleutnant erster Chef des Hauptstabes), Heinz-Bernhard Zorn (1912 bis 1993, während der Generalstabsausbildung von Heinz Keßler amtierender Chef der Luftstreitkräfte). Sie engagierten sich auch politisch für den jungen Staat, Bernhard Bechler und Heinz-Bernhard Zorn als Mitglieder der SED, Wilhelm Adam, Arno von Lenski und Vincenz Müller als Mitglieder und Funktionäre der NDPD. Dazu kam die Tätigkeit in der Arbeitsgemeinschaft ehemaliger Offiziere, in der Nationalen Front sowie weiteren gesellschaftlichen Organisationen und in Sportverbänden. Für viele von ihnen war es deshalb nur schwer zu verstehen, dass sie auf Grund des Beschlusses des Politbüros des ZK der SED vom 15. Februar 1957 bis auf wenige Ausnahmen mit Erreichen des gesetzlichen Rentenalters in den Ruhestand versetzt wurden. Der BRD, der die Vergangenheit ihres eigenen Offizierskorps nie auch nur ein kritisches Wort wert gewesen war, sollte keine Angriffsfläche geboten werden, zumal sich die Organisation Gehlen als Vorläuferin des BND auffällig für manchen von ihnen „interessierte“. Derartige Versuche zur Anwerbung von Angehörigen der bewaffneten Organe der DDR hatte es bereits in den Vorläufern der NVA, der KVP, der VP-Luft und der VP-See gegeben. So waren im Juni 1953 drei an der Offiziersschule Kamenz tätige Mitarbeiter, darunter ein ehemaliger Oberleutnant der Hitler-Wehrmacht, als Agenten des US-amerikanischen Geheimdienstes CIA enttarnt und verhaftet worden. Sie hatten diesem nicht nur alle verfügbaren Unterlagen über den Strahljäger MiG 15 im Original oder als Kopie geliefert, sondern an einem Wochenende auch ein vollständiges Funkmessvisier dieses Typs ausgebaut, zur „Auswertung“ nach Berlin (West) verbracht und anschließend wieder in die Maschine eingesetzt, weshalb das zeitweilige Fehlen des Gerätes gar nicht bemerkt wurde.

Die Uniform sollte auf ausdrücklichen Wunsch der sowjetischen Militärführung nicht der von der KVP getragenen entsprechen, zumal deren Schnitt und Farbe vom bundesdeutschen und Westberliner Politik- und Meinungsmachebetrieb zum Anlass für eine wüste Hetze gegen die angeblichen „Russenknechte“ genommen worden waren. Vielmehr sollte sie bekannten deutschen Vorbildern entsprechen, die bis auf die in den Befreiungskriegen gegen die napoleonische Fremdherrschaft von den preußischen Heeresreformern Gerhard Johann David von Scharnhorst und August Neidhard von Gneisenau geschaffene Uniformierung zurückging. Obwohl sich die Uniform der NVA in Farbe und Schnitt deutlich von der in der Wehrmacht des „Dritten Reiches“ ebenso unterschied wie hinsichtlich der Bezeichnung eines Teils der Dienstgrade, hatte auch hier der bundesdeutsche und Westberliner Politik- und Meinungsmachebetrieb schnell das sprichwörtliche „Haar in der Suppe“ gefunden. Noch in den 1960er Jahren höhnte der regierungsamtliche „Deutschlandfunk“ anlässlich eines in der ČSSR stattfindenden gemeinsamen Manövers der Staaten des Warschauer Vertrages, was wohl die dortige Bevölkerung sagen werde, wenn „Soldaten in wehrmachtsähnlichen Uniformen“ ihr Land beträten. Diese Unverfrorenheit und Verlogenheit war ebenso typisch wie die Vermeidung jeglicher Kritik an den eigenen Verhältnissen: Gewiss, die aus mausgrauer Jacke, gleichfarbigem Mantel und schwarzer Hose bestehende Uniform des Heeres der Bundeswehr vermied jede Erinnerung an die Wehrmacht, folgte sie doch bewusst US-amerikanischem Vorbild. Von „Amiknechten“ war in der Propaganda dennoch nie die Rede. Die anfangs zugespitzten Schulterklappen wurden freilich längst dem herkömmlichen Schnitt angeglichen. Die schon zahlenmäßig weniger im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehende Bundesluftwaffe allerdings trug von Anfang an das bereits in der Luftwaffe des „Dritten Reiches“ verwendete Blau ebenso wie das in dieser als Kopfbedeckung genutzte „Schiffchen“. Wie diese der Tarnung und Täuschung dienenden bloßen Äußerlichkeiten zu bewerten waren, hatte 1971 während eines Lehrgangs in der Ausbildungsstätte Seelingstädt ein Hochschuldozent und Major der Reserve in folgende Frage gekleidet: „Was ist besser – alte Uniform und neuer Geist, oder neue Uniform und alter Geist?“ Genau darin aber liegt der gewaltige Unterschied zwischen NVA und Bundeswehr, baute doch erstere ihre Traditionen auf den jahrhundertealten Kämpfen für gesellschaftlichen Fortschritt auf. Dazu gehörten unter anderem die frühbürgerliche deutsche Revolution, insbesondere der von Thomas Müntzer nach dem Grundsatz „Die Gewalt soll gegeben werden dem gemeinen Mann!“ angeführte Bauernkrieg zur Befreiung von feudaler Unterdrückung und Fürstenwillkür, die Kriege zur Befreiung von der napoleonischen Fremdherrschaft, die bürgerlich-demokratische Revolution von 1848, die Pariser Kommune von 1871, die von August Bebel und Wilhelm Liebknecht begründete revolutionäre deutsche Arbeiterbewegung, die Novemberrevolution von 1918 und die ihr bis 1923 folgenden revolutionären Kämpfe, der antifaschistische Widerstandskampf in seinen vielfältigen Formen wie die Verteidigung der Spanischen Republik, der Kampf in Armeen der Staaten der Anti-Hitler-Koalition und in Partisaneneinheiten der vom deutschen Faschismus überfallenen Länder sowie das aufopferungsvolle Wirken im Nationalkomitee Freies Deutschland und im Bund Deutscher Offiziere.

Solche, dem gesellschaftlichen Fortschritt verpflichtete, Traditionen hatten in der von einstigen Wehrmachtsgeneralen, die gedachten, es „beim nächsten Mal besser zu machen“, aufgebauten, geprägten und befehligten Bundeswehr absolut keinen Platz. Ideologisch wurden ihre Angehörigen antikommunistisch indoktriniert, ging es doch, um mit dem damaligen Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß zu sprechen, um den „Fall Rot“. Aufgabe dieser Armee war ihre innerhalb der NATO vorgesehene Beteiligung am „roll back“ dessen, was in den USA unter Kommunismus verstanden wurde, im Allgemeinen und die von Bundeskanzler Konrad Adenauer so verlogen wie verfälschend als „Befreiung der Zone“ hingestellte Beseitigung der DDR. Dementsprechend stützte sich die Bundeswehr hinsichtlich ihres Traditionsverständnisses zu einem Teil auf kaiserliche Armee und Reichswehr, wie beispielsweise die Benennung von Kasernen nach dem Durchhaltestrategen und „Ersatzkaiser“ Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg zeigt, dem der Erste Weltkrieg bekanntlich „wie eine Badekur“ bekommen war und der mit der Berufung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 dem Faschismus nicht nur zur Macht verholfen, sondern am 21. März in der Potsdamer Garnisonskirche auch noch das Bündnis zwischen Faschismus und reaktionärem Konservatismus besiegelt hatte. In der Hauptsache aber leitete die Bundeswehr ihre Traditionen unmittelbar aus der faschistischen Wehrmacht her: Einheiten dieser Armee sahen sich als eine Art legitime Nachfolger der ehedem am gleichen Standort stationiert gewesenen Wehrmachtsverbände. Von diesen begangene Kriegsverbrechen wurden verschwiegen, verharmlost oder als angebliche „Vergeltungsmaßnahme“ sogar gerechtfertigt. Ebenfalls keine Rolle spielten die zumeist bedingungslose Gefolgschaft gegenüber der faschistischen Führung, insbesondere Hitler persönlich, und der vielen Soldaten das Leben gekostet habende Blitzkriegs- und Durchhaltefanatismus. Solche gnaden- und rücksichtslosen, vor Kriegsverbrechen nicht zurückschreckende Befehlshaber wurden im Gegenteil auch noch als „untadelige und tapfere Soldaten“ beweihräuchert. Während einstigen Mitgliedern der Internationalen Brigaden die Zeit ihres Kampfes zur Verteidigung der Spanischen Republik nicht einmal für die Rentenversicherung angerechnet wurde, war das bei den Angehörigen der die Franco-Faschisten mittels illegalem Krieg unterstützt und dabei zahlreiche Verbrechen begangen habenden Legion „Condor“ nicht nur ganz anders, sie wurde auch zur Traditionsgeberin für die Bundeswehr. Kasernen, Einheiten und Schiffe wurden nach hohen Offizieren der Wehrmacht benannt, so Admiral Günther Lütjens und Oberst Werner Mölders, einem der persönlichen Lieblinge Hitlers. Selbst Kriegsverbrecher wie General Eduard Dietl und der als solcher 1947 in Jugoslawien hingerichtete General Ludwig Kübler waren der Bundeswehr Kasernennamen wert gewesen! Vor allem aus der katholischen Bewegung „Pax Christi“ seit 1988 unternommene Initiativen zur Abschaffung dieser mit Schande beladenen Namen wurden von Politikern aus CDU und CSU sowie sogenannten „Traditonsverbänden“ der faschistischen Gebirgsjägereinheiten beschimpft und bedroht, ein Beschluss des Petitionsausschusses des Bundestags durch das Verteidigungsministerium nicht umgesetzt. Erst 1994 verfügte der damalige Minister Volker Rühe (CDU) die längst fällig gewesenen Umbenennungen und 1998 folgte endlich mittels leider nur halbherziger „Empfehlung“ des Bundestages die Beendigung der Traditionsschöpfung aus den Untaten und Verbrechen der Legion „Condor“. Fast schon überflüssig ist da der Hinweis, dass die Tätigkeit in Nationalkomitee Freies Deutschland und Bund Deutscher Offiziere in der BRD, so, wie bis in die 1960er Jahre die mutige Tat von Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg, auch heute noch als eine Art „Landesverrat“ gilt.

Bewaffnung und Ausrüstung der NVA stammten anfangs noch aus sowjetischen und deutschen Weltkriegsbeständen. Dazu gehörten unter anderem die nach ihrem Konstrukteur Georgi Semjonowitsch Schpagin PPSch genannte Maschinenpistole 1941, eine der besten Handfeuerwaffen ihrer Zeit, und der als einer der besten Kampfpanzer eingeschätzte T 34/85. Der Fahrzeugpark bestand vorwiegend aus sowjetischen Lkw der Typen SIS 150 und SIS 151, zu denen sich aus einheimischer Produktion Garant 30 k, H3A und G 5 sowie der Geländewagen P2M und später dessen als eines der besten Fahrzeuge seiner Art eingeschätzte Nachfolger P 3 gesellten. Allerdings verfolgte die Großmacht Sowjetunion auch eigene politische und wirtschaftliche Interessen, weshalb sie zuallererst auf die Sicherung des Absatzes von Fahrzeugen aus ihrer Produktion bedacht war. Das führte schließlich und endlich zur Einstellung der Serienfertigung des geländegängigen G 5 und seiner allmählichen Aussonderung aus dem Bestand der NVA. Diese Fahrzeuge fanden in Industrie- und Baubetrieben, beim VEB MINOL, Feuerwehren sowie der Interflug dankbare Abnehmer. Das gleiche Schicksal ereilte später den P 3, der durch sowjetische Geländewagen ersetzt werden musste. Im Gegensatz zur Bundesmarine der BRD besaßen die Seestreitkräfte der NVA keine U-Boote und eine Forderung nach Verfügungsgewalt über Kernwaffen wurde gleich gar nicht erhoben, war doch in der DDR eingedenk der verheerenden Folgen der US-amerikanischen Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki „Kampf dem Atomtod!“ Staatspolitik. Im Gegensatz zur BRD unterstützte sie auch den Vorschlag des polnischen Außenministers Adam Rapacki zur Schaffung einer chemiewaffenfreien Zone in Mitteleuropa.

Dagegen blieb die politische Klasse der BRD unbelehrbar, lehnte sie doch alle Abrüstung und Verständigung betreffenden Vorschläge stur ab. Sie steigerte sich weiter in ihre antikommunistische Hysterie hinein und steuerte immer mehr und immer schneller auf die Verwirklichung ihrer Politik, die DDR „zum Verschwinden zu bringen“ zu. Es war ein höchst gefährliches Spiel mit dem Feuer, musste doch in Bonn damit gerechnet werden, dass die UdSSR und ihre Verbündeten dem nicht tatenlos zusehen würden. Dabei setzte die BRD hauptsächlich auf drei Säulen: Der per Hallstein-Doktrin und Alleinvertretungsanmaßung als „innerdeutsche Polizeiaktion“ getarnte Militärschlag gegen die DDR sollte mit einem Anheizen innerer Unruhen, Sabotage und Diversion einhergehen.Am9. Juli 1961, wenige Wochen vor der Sicherung der Grenze zu Berlin (West) und der verschärften Überwachung der Staatsgrenze zur BRD, forderte die „Bonner Rundschau“, „alle Mittel des Krieges, des Nervenkrieges und des Schießkrieges anzuwenden. Dazu gehören nicht nur herkömmliche Streitkräfte und Rüstungen, sondern auch die Unterwühlung, das Anheizen des inneren Widerstandes, die Arbeit im Untergrund, die Zersetzung der Ordnung, die Sabotage, die Störung von Verkehr und Wirtschaft, der Ungehorsam, der Aufruhr.“ Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß ließ am 1. August 1961 verlauten, „daß der Westen auf eine Art Bürgerkrieg vorbereitet sein muß“. Die dritte Säule bestand in Maßnahmen, die der DDR möglichst viele Menschen entziehen und damit zu ihrem Ausbluten sowie ihrer politisch-moralischen Diskreditierung führen sollten. Die einfachste und erfolgversprechendste Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, war die offene Grenze zu Berlin (West). Dabei war und ist es eine absichtsvoll in die Welt gesetzte Lüge zur Rechtfertigung dieser Politik, wenn behauptet wird, die Menschen, die der DDR illegal den Rücken kehrten, hätten lediglich „in die Freiheit“ gewollt. Abgesehen davon, dass dieser Begriff, da sein Inhalt niemals erläutert wurde, nur eine Phrase zur Tarnung und Täuschung ist, handelte es sich bei diesem Personenkreis, von wenigen Ausnahmen abgesehen, um reine Wirtschaftsflüchtlinge. Während die BRD aus den ärmsten Ländern kommende Menschen mit diesem Begriff als eine Art Kainsmal versieht und sie gnadenlos zurückschickt, waren Bürgerinnen und Bürger der DDR stets hochwillkommen. Schließlich ging es darum, diesem als Alternative zum Kapitalismus gegründeten Staat so nachhaltig wie möglich zu schaden. Folglich wurden aus bloßen Wirtschaftsflüchtlingen ganz einfach „politische Flüchtlinge“ gemacht, die sie gar nicht waren. Eigens zu diesem Zweck war die wirtschaftlich auf dem Marshall-Plan und politisch auf der von den stramm antikommunistischen SPD-Politikern Kurt Schumacher und Ernst Reuter ersonnenen „Magnettheorie“ aufbauende „Schaufensterpolitik“ inszeniert worden: Berlin (West) sollte so zu einem „Gravitationszentrum“ werden, das Bürgerinnen und Bürger der DDR geradezu wie ein Magnet anzog. Hier wurden Ungeduld und Bequemlichkeit gnadenlos ausgenutzt, denn warum sollte man sich, so die Denkweise schlichter Gemüter, nach den kriegs- und nachkriegsbedingten Hungerjahren für eine Gesellschaft sozialer Gerechtigkeit abschinden, wo es doch auf der anderen Seite scheinbar viel einfacher, besser und schneller ging? Dass gerade viele Einwohnerinnen und Einwohner von Berlin (West) wegen Geldmangel von dieser „Schaufensterpolitik“ nichts hatten, wurde gar nicht wahrgenommen. Eine solche Wahrnehmung war ja auch gar nicht gewollt, ging es doch einzig und allein darum, der DDR zu schaden. So sahen die herrschenden Kreise der BRD und ihre Politiker 1961 die Zeit für gekommen an, wo es galt, sich nicht einmal mehr in Geduld zu üben, sondern „endlich Schluss zu machen“ mit dem ihnen immer gefährlicher erscheinenden „kommunistischen Experiment“ in der „Zone“. Der Frieden nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt wurde durch die in Bonn betriebene, alles auf eine Karte setzende Politik auf das Höchste bedroht. Selbst die USA wurden sehr unruhig, sahen sie doch, dass aus diesem Hasardspiel auch eine große Gefahr für sie selbst heraufzog. Bezeichnend dafür war, was der nun jeder DDR-Freundlichkeit unverdächtige US-amerikanische Senator William Fulbright als Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses des Senats am 30. Juli 1961 in einem Fernsehinterview gesagt hatte: „Ich verstehe nicht, warum die Ostdeutschen nicht ihre Grenze schließen, denn ich glaube, daß sie ein Recht haben, sie zu schließen.“

Der Senat blieb, der Rückendeckung aus Bonn immer gewiss, bei seinem friedensgefährdenden und entspannungsfeindlichen Missbrauch von Berlin (West) als „Frontstadt“, „Pfahl im Fleische der DDR“, „Einfallstor in die Zone“. Ja, der 1953 verstorbene Regierende Bürgermeister Ernst Reuter (SPD) hatte die Stadt gar als „billigste Atombombe“ angepriesen! Die USA, Großbritannien und Frankreich lehnten es strikt ab, sich aus Berlin (West) zurückzuziehen, obwohl es für ihre Anwesenheit seit der Lahmlegung der Tätigkeit des Alliierten Kontrollrates als oberster Regierungsinstanz während der Zeit der Besatzung keinerlei Berechtigung mehr gab. Die Stadt war ihnen östlichster Vorposten im Kampf um das „roll back“ dessen, was sie unter Kommunismus verstanden, womit sie entgegen allen salbungsvollen Reden über ein „Selbstbestimmungsrecht“ den Völkern Mittel- und Osteuropas sowie Ostasiens den Kapitalismus wieder aufzwingen wollten. Deshalb hatten sie auch 1958 den Vorschlag des sowjetischen Ministerpräsidenten Nikita Sergejewitsch Chrustschow zur Umwandlung des Gefahrenherdes Berlin (West) in eine neutrale und entmilitarisierte Freie Stadt strikt abgelehnt. So sahen sich die Staaten des Warschauer Vertrages schließlich gezwungen, das zu tun, was mit William Fulbright einer der profiliertesten US-amerikanischen Politiker in aller Öffentlichkeit vorgeschlagen hatte, nämlich die DDR zu ermächtigen und zu beauftragen, die Grenze zu schließen, militärisch zu sichern und ein Kontrollsystem einzuführen, wie es zwischen souveränen Staaten üblich war. So trat am 13. August 1961 die durchaus paradox zu nennende Situation ein, dass sie mit Berlin (West) ihr eigenes Gebiet vom übrigen Territorium abriegeln musste: Ja, es stimmt, diese Stadt war, da auch mit der Einrichtung der von den USA, Großbritannien und Frankreich verwalteten Besatzungssektoren nie eine Herauslösung aus der Sowjetischen Besatzungszone erfolgt war, ihr Eigentum, über das zu verfügen ihr aber verwehrt blieb. Obwohl eine ohnehin rechtswidrig gewesene Eingliederung von Berlin (West) „in die anfängliche Organisation“ der BRD durch die drei Stadtkommandanten mit Schreiben vom 14. Mai 1949 ausdrücklich untersagt worden war, befand es sich faktisch im Besitz der BRD, die sich hier mit stillschweigender Duldung durch die Besatzungsmächte Hoheitsrechte anmaßte. Bei der nun für sie völlig überraschend erfolgten Schließung und militärischen Sicherung sowie späteren Befestigung der Grenze waren (in dieser Staffelung) Kampfgruppen, Deutsche Volkspolizei und Nationale Volksarmee beteiligt. Hier hatte sie ihre erste große Bewährungsprobe zu bestehen gehabt und letztlich ihre Aufgaben so erfüllt, wie es notwendig gewesen war. Der Vollständigkeit halber soll noch darauf hingewiesen werden, dass für den Senat von Berlin (West) am 13. August jenseits aller wütenden Proteste und des hasserfüllten Geschreis vom „Mauerbau“ höchstens der Zeitpunkt überraschend war, denn wie ein internes Papier vom 18. Oktober 1960 nachweist, war man sich im Schöneberger Rathaus schon Monate zuvor der möglichen Auswirkungen der „Frontstadt“-Politik durchaus bewusst gewesen: „Der Bericht macht eindringlich darauf aufmerksam, daß im Falle östlicher Absperrmaßnahmen ein Ersatz für die Grenzgänger aus der Arbeitsmarktreserve in West-Berlin nicht mehr möglich sein würde, da selbst bei Eingliederung der sicher nicht immer für einen Austausch geeigneten bisherigen >Auspendler< ein ungedeckter Bedarf von weit mehr als 36.000 Arbeitskräften bliebe. Um diese Lücke auszufüllen, müßten – die Familie nur zu drei Personen im Durchschnitt gerechnet – etwa 110.000 Personen aus dem Bundesgebiet zuziehen.“ Dem Senat war folglich seit langem klar, dass sich die DDR und ihre Verbündeten die von Berlin (West) betriebene Ausplünderungs-, Stör- und Sabotagepolitik nicht ewig bieten lassen würde.

Ein Gefahrenherd war eingedämmt, letztlich aber nicht beseitigt worden. So sah sich die DDR gezwungen, nunmehr vom Konzept der Freiwilligenarmee abzugehen und ab 1. Mai 1962 per Gesetz die allgemeine Wehrpflicht einzuführen. Das hatte weitreichende Folgen für den Staatshaushalt, die Volkswirtschaft und natürlich für die nun wehrpflichtig werdenden Jugendlichen. Um stark religiös gebundenen jungen Männern Gewissensqualen zu ersparen, hatte Gerald Götting als Generalsekretär der CDU Walter Ulbricht in einem Gespräch die Einführung eines waffenlosen Bausoldatendienstes vorgeschlagen. Dieser Gedanke fand Eingang in das Gesetz, obwohl es den in strikter Feindschaft zur DDR erzogenen Angehörigen der Bundeswehr, sollte es wirklich zu einer militärischen Auseinandersetzung kommen, völlig gleichgültig gewesen wäre, ob jemand den Dienst an der Waffe abgelehnt hatte oder nicht. Nicht umsonst hatte der Bundespräsident der BRD, Heinrich Lübke (CDU), öffentlich verkündet: „Der Soldat der Bundeswehr kann in die Lage kommen, einmal gegen seine eigenen Landsleute kämpfen zu müssen.“ Zudem war wohl kaum zu erkennen, wer wirklich seinem christlichen Gewissen folgte und wer ein solches nur vorschob: Man bedenke beispielsweise, dass der einstige Bausoldat und vor 30 Jahren von ARD und ZDF als „Vorzeigepazifist der DDR“ gefeierte Pfarrer Rainer Eppelmann als heute im Bundestag sitzender Abgeordneter der CDU zu den eifrigsten Befürwortern und Verteidigern der Kriegseinsätze der Bundeswehr gehört.

Im September 1963 fand im Süden der DDR das Manöver „QUARTETT“ statt. Vier Divisionen des Warschauer Vertrages absolvierten eine zweiseitige Armeeübung auf den Truppenübungsplätzen Nochten und Königsbrück (Teilnehmer 41.000 Mann, 700 Panzer, 560 Rohre Artillerie, 323 Flugzeuge und Hubschrauber, von der NVA die 7. Panzerdivision und die 11. Motorisierte Schützendivision im vollen Bestand). Diese Übung wurde (erstmalig in dieser Größenordnung) vom Minister für Nationale Verteidigung, Armeegeneral Heinz Hoffmann, geleitet und (militärisch) ein großer Erfolg. Der anwesende Oberkommandierende der Armeen des Warschauer Vertrages, Marschall Gretschko, bescheinigte insbesondere der NVA und deren Minister: „Ich habe die Nationale Volksarmee besonders nah ins Herz geschlossen, weil die Erfolge und auch die Mängel der Nationalen Volksarmee auch unsere Erfolge und Mängel sind. Vor einigen Jahren habe ich persönlich an der Hilfeleistung bei der Geburt der Einheiten dieser Armee teilgenommen ... In dieser kurzen Zeitspanne konnten wir beobachten, wie die Armee der DDR gewachsen ist, wie sie sich in eine moderne, in eine wahre Kampfarmee verwandelte, die fähig ist, jeden Auftrag durchzuführen. ...Die Nationale Volksarmee hat, wie wir alle sehen konnten, ihre Aufgaben vorbildlich erfüllt und unterscheidet sich nicht mehr von unseren Armeen.“ Die NVA war zu einem zuverlässigen Garanten des Schutzes der DDR geworden und dennoch hielten die politische und die militärische Führung auch weiterhin an bisherigen Ansichten fest, anstatt die sich mit dem Grundlagenvertrag und der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit verändernde Lage zu nutzen. In der wie schon gesagt als Wehrpflichtarmee geschaffenen Bundeswehr betrug die Dienstzeit bis zum 31. März 1962 insgesamt 12 Monate, vom 1. April bis zum 30. Juni 15 Monate, um dann vom 1. Juli 1962 bis zum 31. Dezember 1972 mit 18 Monaten ihren Höchstwert zu erreichen. Am 1. Januar 1973 wurde sie auf 15 Monate verkürzt. Eine bemerkenswerte Offenbarung war die für das dritte Quartal 1989 kurzfristig vorgesehene erneute Heraufsetzung auf 18 Monate – die BRD sah die ab Frühjahr in der DDR inszenierten Ereignisse für sich selbst als Bedrohung an! Erst als sich angesichts der in ungarische Sammellager gelockten und in eine geradezu hysterische Stimmung versetzten Urlauber und des offenen Verrats der mit der BRD gemeinsame Sache machenden Führungen der UdSSR unter Michail Sergejewitsch Gorbatschow und Ungarns unter Gyula Horn im August eine Entwicklung zugunsten der BRD abzeichnete, wurde diese Festlegung wieder aufgehoben. In der Nationalen Volksarmee blieb es dagegen eisern bei der Dienstzeit von 18 Monaten, obwohl eine deutliche Verkürzung nicht nur der Volkswirtschaft genützt, sondern den Wehrdienst auch attraktiver gemacht hätte. Stattdessen wurde immer mehr für eine längere Dienstzeit von drei Jahren sowie die Offizierslaufbahn geworben. Auch Urlaub und Heimfahrten an den Wochenenden unterlagen im Interesse einer ständig hohen Gefechtsbereitschaft strengen Regeln. Bei der Bundeswehr wurden dagegen nach Ableistung des Grundwehrdienstes ein Jahresurlaub von 25 bzw. 26 Tagen sowie, notwendiges Wach- und Sicherungspersonal ausgenommen, regelmäßige Heimfahrten in Zivil an den Wochenenden, diese auch unter die Zahl der Verkehrsunfälle bedenklich erhöht habender Benutzung des eigenen Pkw, wenigstens ab den 1970er Jahren zur Normalität. Bei den Wehrdienstleistenden wurde so der Eindruck erweckt, man fahre eben ähnlich wie ein auswärts Beschäftigter am Sonntagabend zu einer Art normaler Arbeit und am Freitagabend wie dieser wieder nach Hause. Mit diesem scheinbaren „Arbeitsverhältnis“ wurde nicht nur eine Positivierung des Verhältnisses zur Bundeswehr erreicht, sondern auch ihr Charakter als vor allem gegen die DDR geschaffene Aggressionsarmee verschleiert. Zudem sahen viele Wehrpflichtige in ihr einen zumindest zeitweiligen Schutz vor Arbeitslosigkeit und erlagen so den sozialen und finanziellen Verlockungen, die eine längere Dienstzeit bot. In der ganz anderen Bedingungen unterliegenden NVA war das so undenkbar wie unmöglich, obwohl doch die politische und militärische Führung der BRD mit diesem „Dienst auf Sparflamme“ an den Wochenenden eingestanden hatte, dass die so sehr beschworene „Bedrohung aus dem Osten“ gar nicht vorhanden war, ja, ihre Verfechter nicht einmal selbst daran glaubten!

Leider hatten die DDR und ihre Verbündeten in dieser Hinsicht keinerlei Sicherheit, gab es doch in der NATO auch weiterhin einflussreiche Gruppierungen, die das Schreckgespenst der angeblichen „Bedrohung aus dem Osten“ beschworen, um eine neue Runde der Hochrüstung durchzusetzen: Wie „DER SPIEGEL“ 34/1976 berichtete, hatte der belgische NATO-General Robert Close, zunächst Lehrer am Nato Defense College in Rom, dann Kommandeur der 16. belgischen Division in der BRD, ein derartiges Horrorszenario ausgearbeitet. Aller Entspannung zum Trotz unterstellte er, was Ausgleichsfreunde stets für unmöglich hielten: den „direkten, unerwarteten, unprovozierten Angriff des Ostens“. Entspannungs-Skeptiker wie der britische Lord Chalfont, Militärexperte der Londoner „Times“, bauten auf der Close-„Studie“ ihre „Warnungen“ auf, dass Moskau den Schlag tatsächlich im Sinn haben könnte. Etwas realistischer denkende Politiker lehnten jenes Horrorszenario, wonach sich sowjetische Panzer 48 Stunden nach dem behaupteten Brückenschlag über die Elbe auf eine neue Flussüberquerung, nämlich am Rhein, vorbereiten würden, rundweg ab: Die sowjetische Armee in zwei Tagen am Rhein - sollte das überhaupt möglich sein? „Nur wenn alle Soldaten der Bundeswehr und alle deutschen Polizisten für die Sowjets den Verkehr regeln“, höhnte Bonns Verteidigungsminister Georg Leber (SPD) über die Close-„Studie“.

Gerd Schmückle, Generalleutnant der Bundeswehr und Mitglied des Militärausschusses der NATO, hatte immerhin eines erkannt: „Der Trend ist gegen uns.“, denn immer schwieriger, immer kostspieliger wurde es für die von Konsumzwängen und Wählerstimmen abhängigen Regierungen der Mitgliedsstaaten, sich technologisch bessere Waffen als die andere Seite zu leisten. Schon damals mussten sie in der Regel zwischen drei und acht Prozent ihres jährlich erwirtschafteten Bruttosozialprodukts für den Rüstungswettlauf ausgeben. Und jede neue Panzergeneration, jedes neue Kampfflugzeug kostete nach den Erfahrungen der NATO-Experten „fünfmal soviel wie sein Vorgänger“ und war „doch nur doppelt so gut“. Dass die Kostenexplosion der Rüstungsgüter gar eines Tages demolieren könnte, was „soziale Errungenschaften“ genannt wurde, dass schließlich eine hochgerüstete NATO dem Wettlauf um die besten Waffen das meiste von dem geopfert hätte, was sie zu verteidigen vorgab, lag freilich außerhalb des Denkvermögens ihrer Militärs. Ebenso kam den Einpeitschern einer neuen und unter dem einem geradezu hysterischen Antikommunismus verfallenen US-amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan ab 1982 auch durchgesetzten neuen Hochrüstung nie die Frage in den Sinn, wozu militärische Überlegenheit überhaupt dienen sollte. Kenner der Sowjetunion wie der US-amerikanische Diplomat George Frost Kennan waren überzeugt, dass nicht sie die NATO bedrohte, sondern dass es sich genau umgekehrt verhielt. Er sah in der gigantischen sowjetischen Rüstung weniger ein Indiz für heimtückische Überfallpläne als vielmehr die „für eine Großmacht unentbehrliche Absicherung gegen die Risiken der Entspannungspolitik“, allenfalls noch das Bedürfnis, sich für „den Krisenfall mögliche Optionen offenzuhalten“. Das traumatische Erlebnis des deutschen Überfalls 1941 war bei sowjetischen Politikern und Militärs überdies noch zu frisch, um die zahlenmäßige Überlegenheit der eigenen Streitkräfte als ausreichenden Schutz zu empfinden, die Einsicht in die wirtschaftliche Unterlegenheit zu klar.

Unter diesen Umständen musste angesichts einer auf dem Gleichgewicht des Schreckens beruhenden Denkweise, bei der nach einer beinahe schon ritualartigen Ablehnung aller Abrüstungsvorschläge des Warschauer Vertrages durch die NATO von ersteren stets nachgezogen wurde, jede die Verteidigungsausgaben senkende und den Wehrdienst erleichternde Militärreform als nahezu unmöglich erscheinen. Auch die persönliche Seite spielte hier eine nicht unwichtige Rolle, hatten doch die älteren Mitglieder der politischen und militärischen Führung in Zuchthäusern und KZ, im Exil sowie als Angehörige der Internationalen Brigaden, der Roten Armee und von Partisaneneinheiten am eigenen Leibe erleben müssen, wozu der Kapitalismus fähig sein kann. Diese Traumatisierung war nicht zu unterschätzen. Dazu kamen im Lande selbst von der BRD geförderte und als „DDR-Opposition“ hingestellte antikommunistische Kräfte, namentlich in den evangelischen Kirchen, die gegen die NVA zu Felde zogen und dabei zweifellos einen gewissen Einfluss erlangten. Während eine Unterstützung der unter der Forderung „Gegen NATO-Waffen Frieden schaffen!“ stehenden Proteste gegen die NATO-Hochrüstung rundweg abgelehnt wurde, inszenierten solche Kreise „Friedensgebete“, die sich ausschließlich gegen die DDR richteten. In kirchlichen Räumen veranstaltete Ausstellungen zeigten mit „Deutsche Tragödie“ überschriebene Bilder von sich gegenüberstehenden Soldaten der NVA und der Bundeswehr. Dabei wurde die auf das „Verschwinden“ der DDR gerichtete bundesdeutsche Politik schlicht übergangen. Pfarrer wie eben jener Rainer Eppelmann, Michael Passauer und andere riefen Jugendliche zur Verweigerung des Dienstes in der Nationalen Volksarmee auf. Worum es in Wahrheit ging, zeigte nicht nur das Schweigen zur NATO-Hochrüstung, sondern auch und vor allem die von Politik- und Meinungsmachebetrieb der BRD verbreiteten Lobeshymnen für diese angebliche „unabhängige Friedensbewegung“. Selbstverständlich äußerten deren Verfechter kein einziges kritisches Wort zur Unterdrückung der Friedensbewegung in der BRD, einer Bewegung, der es wirklich um Frieden und Abrüstung ging: Wer vor dem NATO-Stützpunkt Mutlangen gegen die Aufstellung neuer USA-Raketen mit atomaren Sprengköpfen protestierte, wurde verhaftet, vor Gericht gezerrt und wegen „Nötigung“ angeklagt. Demonstranten, die vor dem Bundestag in Bonn protestierten, wurden nicht nur von einem großen Polizeiaufgebot brutal niedergeknüppelt, nein, in der Debatte, an deren Ende der Beschluss über die Aufstellung neuer Atomraketen stehen sollte, verstieg sich ein Abgeordneter der CDU gar zu der Behauptung, die prügelnden Polizisten seien die „wahre Friedensbewegung“ der BRD.

Erst die bittere, aber leider sehr späte Erkenntnis in den Warschauer Vertragsstaaten, dass der von USA und NATO angezettelte neue Rüstungswettlauf wirtschaftlich und sozial nicht durchzuhalten war, führte zu neuen Überlegungen: Die Ablehnung, diesen wahnwitzigen Wettlauf mitzumachen und stattdessen durch Abrüstung mit gutem Beispiel voranzugehen, musste in den NATO-Staaten zwangsläufig eine Änderung der öffentlichen Meinung hervorrufen. Auch die dortige Bevölkerung stöhnte bekanntlich unter den ihr auferlegten Rüstungslasten, für die eine einleuchtende Begründung nunmehr immer schwieriger wurde. So musste sich die Erkenntnis Bahn brechen, dass jemand, der vor aller Welt sicht- und nachweisbar abrüstet, unmöglich eine Bedrohung sein kann, was entsprechenden öffentlichen Druck auf die Regierungen bewirken konnte. Wie sehr die NATO dadurch getroffen wurde, zeigten die Versuche, Abrüstungsmaßnahmen wie den Abzug sowjetischer Einheiten aus der DDR und den Umbau ihrer Kasernen zu Ferienheimen propagandistisch abzuwerten, ja, ihnen gar zu unterstellen, das alles geschehe nur zum Schein.

Leider bröckelte der Zusammenhalt der Staaten des Warschauer Vertrages nach Abschluss der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit zusehends. Die NATO, allen voran USA und BRD, hatte ihr Ziel des „roll back“ dessen, was sie unter Kommunismus verstand, ebenso wenig aufgegeben wie die Bundesregierung ihre auf das „Verschwinden“ der DDR gerichtete Politik. Was nun folgte, war nicht auf ein friedliches Zusammenleben von Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung, sondern unter Missbrauch des Helsinki-Prozesses auf die Durchsetzung des kapitalistischen Umsturzes gerichtet. Die eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates verbietenden Bestimmungen von Korb 1 wurden ebenso bewusst und absichtsvoll außer Acht gelassen wie der zwischen DDR und BRD abgeschlossene Grundlagenvertrag. Stattdessen wurden in Korb 3 sowie in der „Internationalen Konvention über zivile und politische Rechte“ vom 16. Dezember 1966 enthaltene Festlegungen über Reisefreiheit und den Wechsel der Staatsbürgerschaft einschließendes Verlassen des eigenen Landes auf Dauer zwecks Entfachung einer „Freiheits-“ und „Menschenrechts“-Kampagne willkürlich aus dem Zusammenhang gerissen und bewusst falsch ausgelegt. Prof. Dr. Dr. Herwig Roggemann, damals Rechtswissenschaftler an der „Freien Universität“ in Berlin (West), entlarvte die Verlogenheit dieser Falschauslegungung mit der Feststellung, „daß ein völkerrechtswirksamer Anspruch auf Auswanderungsfreiheit nicht besteht.“ Ebenso wies er darauf hin, dass der dritte Absatz jenes Artikels der Konvention ständig unterschlagen wurde, bestätigt dieser doch, dass das Recht, „jedes Land, auch sein eigenes, zu verlassenen“, im einzelnen nur im Rahmen der Landesgesetze besteht, „die zum Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit oder Moral oder der Rechte und Freiheiten anderer“ erlassen wurden. Die Praktiken der BRD waren eine auf bewusster Falschinterpretation beruhende Waffe zur Bekämpfung der DDR.

Vorerst wurde jedoch versucht, den Hebel an der schwächsten Stelle anzusetzen, um einen Fuß in die Tür zu bekommen und sodann den kapitalistischen Umsturz von innen auszulösen. Damit, so die eiskalte Rechnung, konnte vor aller Welt behauptet werden, die Menschen in den betreffenden Ländern hätten es doch selbst so gewollt, folglich beruhe alles auf dem Selbstbestimmungsrecht der Völker. Diese Schwachstelle fand sich zu Beginn der 1980er Jahre in der von Wirtschaftskrisen und politischer Führungsschwäche gebeutelten Volksrepublik Polen, in der zudem die stramm antikommunistisch ausgerichtete katholische Kirche einen bedeutenden Einfluss in der Bevölkerung besaß. Hier bestand die Taktik im Aufbau einer als Gewerkschaft getarnten und dank horrender Finanzhilfen aus NATO-Staaten, vor allem den USA, sowie der politischen Unterstützung durch die katholische Kirche und den reformistischen „Internationalen Bund Freier Gewerkschaften“ rasch an Einfluss gewinnenden konterrevolutionären Organisation. Mit ihrer Streik- und Demonstrationshysterie lähmte dieser scheinheilig „Solidarność“ („Solidarität“) genannte Verband nicht nur das gesellschaftliche Leben im Lande, sondern machte die Volksrepublik zu einem politischen, wirtschaftlichen und militärischen Unsicherheitsfaktor. Auch die Verlässlichkeit Ungarns schwand, nachdem das Land in der Illusion, den Kapitalismus mittels Krediten privater Großbanken sowie umfangreicher Importe von Maschinen und Anlagen, Technologien und Waren gewissermaßen überlisten und damit überflügeln zu können, als einziger sozialistischer Staat 1982 dem Weltwährungsfonds (IWF) beigetreten war. Bald stöhnte das gerade einmal 93.000 km² umfassende Ungarn mit seinen 9,5 Millionen Einwohnern unter der für seine Verhältnisse riesigen Schuldenlast von 19,6 Milliarden US-$. Es hatte sich dadurch selbst erpressbar gemacht, weshalb es sich 1989 dazu hergeben sollte, für finanzielle Zuwendungen aus der BRD beim Komplott gegen die DDR an vorderster Stelle mitzuwirken. In der ČSSR wurde die Wühltätigkeit sogenannter „Dissidenten“, von denen heute bekannt ist, dass jede dieser Personen dafür monatlich über geheime Kanäle rund 600 US-$ erhielt, also für die Vorbereitung des kapitalistischen Umsturzes bezahlt wurde, immer umfangreicher. Um von der durch hohe Verschuldung gegenüber kapitalistischen Großbanken verursachten und kaum noch lösbaren wirtschaftlichen und sozialen Probleme abzulenken, entfachten die politischen Führungen südosteuropäischer Länder eine Welle des übersteigerten Nationalismus, der vor allem zu Lasten nationaler Minderheiten ging. So führte die unter Nicolae Ceauşescu betriebene Politik zu scharfen Auseinandersetzungen zwischen Ungarn und Rumänien, die dem Zusammenhalt der Staaten des Warschauer Vertrages abträglich war. Als 1985 Michail Sergejewitsch Gorbatschow zum Generalsekretär des ZK der KPdSU gewählt worden war, glaubten auch in der DDR angesichts der von ihm vollmundig verkündeten Grundsätze von „Offenheit“ und „Umbau der Gesellschaft“ viele Menschen, vor allem Angehörige der Intelligenz, dass nun die in vielen Bereichen festzustellende Erstarrung der Gesellschaft beseitigt und der sozialistische Aufbau, von Hemmnissen befreit, vorangebracht würde. Allerdings schien denen, die der politischen Führung der DDR übelnahmen, dass diese Gorbatschows Kurs gemäß Kurt Hagers Grundsatz, wenn der Nachbar seine Wohnung tapeziere, müsse man das doch nicht gleich nachmachen, nicht folgte, entgangen zu sein, dass die Loblieder auf den „größten Reformer aller Zeiten“ ausgerechnet dort am lautesten gesungen wurden, wo Sozialismus „einen Dreck wert ist“ (Erik Neutsch in „Spur der Steine“). Dabei hatte schon August Bebel erkannt gehabt: „Wenn Dich Deine Feinde loben, dann hast Du etwas falsch gemacht.“ Die so gepriesene „Reformpolitik“ war nicht nur völlig ungenügend durchdacht und geplant, sie war konzeptionslos und vergrößerte das Durcheinander in Wirtschaft und Gesellschaft, anstatt es zu beseitigen. In mehreren Sowjetrepubliken flammten längst überwunden geglaubter Nationalismus und religiöser Fanatismus wieder auf, ein erprobtes Mittel, um von entstandenen sozialen Problemen abzulenken. Das betraf die bürgerlichem Nationalismus geschuldeten und ohne jede Rücksicht auf nationale Minderheiten, vor allem die russische, betriebene Loslösung der baltischen Republiken ebenso wie die nun gewaltsam ausgetragenen Auseinandersetzungen zwischen Armenischer und Aserbaidshanischer SSR um das zu letzterer gehörende und mehrheitlich von armenischer Bevölkerung bewohnte Autonome Gebiet Berg-Karabach. Dass Gorbatschow nicht, wie auch heute noch manche Linke glauben, lediglich der auf Grund ungünstiger Umstände tragisch gescheiterte „Reformer“, sondern eine Art „Trojanisches Pferd“ der NATO war, bekannte er während eines vom 26. Juli bis zum 1. August 2000 stattgefundenen Seminars der Amerikanischen Universität in der Türkei laut „Prawda Rossii“: „Das Ziel meines ganzen Lebens war die Vernichtung des Kommunismus, dieser unerträglichen Diktatur gegen die Menschen.“ Abschließend entlarvte er sich noch einmal, als er unter völliger Ignoranz imperialistischer Diktaturen und Verbrechen erklärte: „Der Weg der Völker zu wirklicher Freiheit ist schwer und lang, er wird aber unbedingt erfolgreich sein. Dafür muss sich nur die ganze Welt vom Kommunismus befreien.“ Am schlimmsten und folgenschwersten für die DDR und damit auch für die NVA war, dass die sowjetische Führung als die tonangebende im sozialistischen Staatenblock versuchte, sich zur Bewältigung der gerade unter Gorbatschow immer offener zutage tretenden gesellschaftlichen Krise Luft zu verschaffen, vor allem auf Kosten ihres treuesten, zuverlässigsten und wirtschaftlich immer noch wesentlich besser dastehenden Verbündeten: So hielt der sowjetische Diplomat Wjatscheslaw Daschitschew am 27. November 1987 auf einer Sitzung des wissenschaftlich-konsultativen Beirats beim Amt für sozialistische Länder Europas des Außenministeriums der UdSSR einen Vortrag über die „deutsche Frage“ – ein Thema also, das in der Praxis längst nicht mehr existierte und folglich künstlich zu einem angeblich ungelösten Problem hochstilisiert wurde. Bar jeden Blickes für die Wirklichkeit, in der ein politisch-geografisches Gebilde namens „Deutschland“ mit einer Art gemeinsamer Außengrenze um DDR und BRD und eine Grenze minderer Qualität zwischen beiden Staaten mit dem angeblichen Status „innerdeutsch“ überhaupt nicht existierten, erklärte er zu jenem Vortrag unter anderem: „Ich ging in meinem Beitrag davon aus, dass die DDR den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Wettbewerb mit der Bundesrepublik verloren habe und daher die weitere Diskreditierung der in der DDR herrschenden politisch-ideologischen Ordnung unvermeidbar sei, was das Problem der nationalen Vereinigung in einem ganz neuen Lichte darstellen werde. Die Teilung Deutschlands und die fortdauernde Existenz von zwei deutschen Staaten betrachte ich als eine gefährliche und für die Interessen der Sowjetunion schädliche Entwicklung Europas...Es ist von großer Bedeutung, mögliche Varianten der Entwicklung der 'deutschen Frage' unter dem Blickwinkel der Interessen der sowjetischen Politik nachzuvollziehen. Hier können vorwiegend folgende Linien umrissen werden: 1. die fortdauernde Existenz von zwei deutschen Staaten; 2. die Wiedervereinigung Deutschlands gemäß den Prinzipien der Neutralität und der Bündnisfreiheit; 3. die Wiedervereinigung Deutschlands und seine Integration in das westliche Bündnis ...“. Das blieb nicht lange geheim und erklärt zumindest teilweise die damals beginnende Distanz der DDR-Führung zur UdSSR, was dann als „Sozialismus in den Farben der DDR“ deklariert wurde. Das erklärt auch die nunmehr beginnende kritischere Sicht auf die UdSSR und die Distanz zu „Glasnost“ und „Perestrojka“ überhaupt, nicht nur wegen deren überstürzter, konzeptionsloser und dilettantischer Umsetzung. Die DDR-Führung, zumindest die Führung der SED und dabei auch Funktionäre auf Bezirks- und Kreisebene, wusste, was nun eintreten könnte. Der Bevölkerung wurde das jedoch verschwiegen. Bei aller Distanz zur sowjetischen Führung wurden weiterhin in der Öffentlichkeit die „unverbrüchliche Freundschaft“ und der „unzerstörbare Bruderbund“ betont. Beide Seiten logen sich entweder gegenseitig etwas vor oder aber, sie spielten vor den Völkern ihrer Staaten gemeinsam eine schmierige Komödie. Vermutlich glaubten sie auch, ein offener Bruch würde den Absturz, dem sie folglich konzeptionell wenig oder nichts entgegenzusetzen hatten, noch beschleunigen. Wie sich spätestens 1991 zeigen sollte, war der von Daschitschew als scheinbarer Ausweg aus der schweren Krise angepriesene Verrat an der DDR eine folgenschwere Illusion gewesen, endete er doch nicht nur mit deren Auslieferung an die BRD, sondern auch mit der von innen heraus erfolgten Zerstörung der UdSSR.

Angesichts dieser auf den Verrat an der DDR gerichteten sowjetischen Politik blieben die bewaffneten Organe von den politischen Ereignissen des Jahres 1989 nicht unberührt. Nicht nur, dass Gewaltanwendung angesichts fanatisierter Menschenmassen mit Sicherheit unabsehbare Folgen gehabt hätte, bei den Angehörigen der NVA, der Deutschen Volkspolizei und der Kampfgruppen machten sich ja selbst Angst und Unsicherheit breit. Auch sie standen längst nicht mehr auf festem Boden, die Gefahr von Disziplinlosigkeit und Auflösungserscheinungen war durchaus schon gegeben. Andererseits ist so erschütternd wie unbegreiflich, dass sich die bewaffneten Organe nach dem 18. März 1990 widerstandslos der nur durch völkerrechtswidrige bundesdeutsche Einmischung ans Ruder gebrachten Marionettenregierung des biederen Rechtsanwalts Lothar de Maiziére von der gewendeten Block-CDU unterwarfen: Die sozialistische Gesellschaftsordnung war, unbeschadet ihrer Reformbedürftigkeit, geltender und verbindlicher Verfassungsgrundsatz. Die als „Wiederherstellung der deutschen Einheit“ etikettierte Politik des überstürzten und zwangsläufig die Restauration des Kapitalismus nach sich ziehenden „Beitritts“ zur BRD war klar und eindeutig ein brutaler Verstoß gegen den Paragraphen 96 des Strafgesetzbuches der DDR, der für das Verbrechen Hochverrat schwerste Strafen androhte. Sämtliche die Marionettenregierung dieses Herrn de Maiziére tragenden Parteien waren damit offen verfassungsfeindlich! Im Sinne der BRD-Regierung, die im eigenen Staate jegliches Streben nach einer Überwindung der im Grundgesetz überhaupt nicht erwähnten und damit keinerlei Verfassungsrang genießenden kapitalistischen Gesellschaft als „verfassungsfeindlich“ mit allen Mitteln bekämpft, war das selbstverständlich „etwas ganz anderes“, sozusagen eine „gute“ Verfassungsfeindlichkeit. Doch von Widersetzlichkeit und Protest gegen die fremdbestimmte Politik der „Regierung“ de Maiziére in Staats- und Sicherheitsapparat konnte keine Rede sein, von Widerstand schon gar nicht. In einer Art Endzeitstimmung ergab sich nahezu alles fatalistisch dem zugedachten Schicksal. Vielen ging es in dem Bewusstsein, was nun zwangsläufig kommen musste, nur noch um das eigene Überleben, um die Sicherung des eigenen Arbeitsplatzes durch Andienen an die neuen Herren. Geradezu unglaublich und sträflich war die offenkundige Naivität ranghoher Politiker und Militärs, die treu und ergeben die Anweisungen und Befehle derer ausführten, die die DDR verrieten. Der Minister des Innern aus der Regierung Modrow, Lothar Arendt (bislang SED bzw. PDS), diente nun brav als „Chef der Deutschen Volkspolizei“ dem „Innenminister“ Peter-Michael Diestel von der reaktionären DSU (später CDU) und dessen bundesdeutschen „Beratern“. Der vormalige Minister für Nationale Verteidigung, Admiral Theodor Hoffmann (bislang SED bzw. PDS), erfüllte als „Chef der NVA“ getreulich die Befehle des sogenannten „Ministers für Abrüstung und Verteidigung“, Pfarrer Rainer Eppelmann (DA, später CDU), und seiner Bonner „Berater“ - angeblich nicht wissend, dass es diesen einzig und allein um die Zerschlagung der NVA und niemals um die Schaffung irgendwelcher „gesamtdeutscher“ Streitkräfte ging. Der stellvertretende Leiter des Militärischen Nachrichtendienstes der NVA – immerhin im Range eines Obersten – erschien pflichteifrig und naiv bei Herrn Eppelmanns ausländischem „Berater“, dem Bürger und Politiker der BRD, Egon Bahr (SPD), und übergab diesem sämtliche Unterlagen seines Apparates, von dessen Existenz die BRD bis dahin keinerlei Ahnung gehabt hatte. Bedenkenlos wurden damit Kundschafter wie Rainer Rupp, Dieter Popp, Klaus Kuron, Dieter Feuerstein und viele andere verraten und der dortigen Strafjustiz ausgeliefert. Ausführlich beschrieben wurde dieser beispiellose Vorgang übrigens im Buch „Der Nachrichtendienst der NVA“ von Klaus Behling.

Unter diesen neuen Verhältnissen waren die einst festgefügten Strukturen und die straffe Disziplin in der NVA längst zu Makulatur geworden. Hier war auch die Bedrohung der beruflichen und familiären Existenz noch weitaus stärker als in der Deutschen Volkspolizei. Schließlich hatten sich NATO und Warschauer Vertrag und damit die Bundeswehr der BRD und die NVA der DDR bislang als unversöhnliche Gegner gegenübergestanden. Es gab nicht nur völlig entgegengesetzte Feindbilder, Traditionen und Weltanschauungen, sondern auch vollkommen andere Bewaffnungen und Strukturen. Schon das machte, neben den durch das von der Marionettenregierung de Maiziére geplante Überstülpen der BRD über die DDR gesetzten Bedingungen, die Schaffung einer wie auch immer gearteten „gemeinsamen“ Armee unmöglich. Um so erschütternder war es, dass es dennoch Leute gab, deren Illusionen so groß waren, dass nicht nur die alte und in der NVA nie üblich gewesene Anrede „Herr“ (statt Genosse) eingeführt, sondern sogar noch ernsthaft über (natürlich denen der Bundeswehr ähnliche) „neue“ Uniformen und Dienstgradabzeichen nachgedacht wurde. Nicht auszuschließen ist dabei freilich, dass Herr Eppelmann ganz bewusst derartige Weisungen gab, um planmäßig solche Illusionen zu schüren und damit in der NVA jeden Widerstand gegen die Auslieferung der DDR an die BRD von vornherein abzublocken. Schließlich war der einst von ARD und ZDF als Vorzeige-„Pazifist“ der DDR gehätschelte spätere bedingungslose Befürworter von Kriegseinsätzen der Bundeswehr von ihn längst durchschaut habenden Angehörigen der NVA nicht umsonst sehr bald mit dem Spitznamen „Vereppelmann“ bedacht worden.

Auch hier war durch diese Politik der offene Konflikt mit dem Fahneneid der NVA als der für alle ihre Angehörigen verbindliche Verhaltenskodex gegeben. So verließen Angehörige, die noch ein Gewissen hatten, die Armee. Andere ließen alles über sich ergehen bis zum bitteren Ende. Ebenso gab es Angehörige, die alles daransetzten, in die Bundeswehr übernommen zu werden, und dafür sowohl ihr Gewissen opferten als auch die bereits hinsichtlich der Deutschen Volkspolizei verfügten diskriminierenden Bedingungen in Kauf nahmen. So wurde brav alles mitgemacht, was Herr Eppelmann und seine bundesdeutschen „Berater“ befahlen, vom Austausch der NVA-Kokarde mit dem Staatswappen gegen eine „neutrale“ mit den Farben Schwarz-Rot-Gold, wie sie aus völlig anderen Gründen bei der Deutschen Reichsbahn üblich war, über die Schmierenkomödie einer „Neuvereidigung“ am 20. Juli (mit Androhung der sofortigen Entlassung bei einer Verweigerung), bis zur braven, ja diensteifrigen Übergabe von Bewaffnung, Technik, Einrichtungen und Symbolen an Emissäre der Bundeswehr. Anschließend zog man ebenso brav die Uniform aus und ging schicksalergeben in die Arbeitslosigkeit, wenn man nicht gerade zu den politisch gewendeten und ihres Gewissens ledig gewordenen wenigen „Auserwählten“ gehörte, die zu den genannten Bedingungen die mausgraue Uniform US-amerikanischen Zuschnitts der Bundeswehr anziehen durften. Welches Ausmaß Frechheit und Unverfrorenheit der Verräter und Auslieferer um de Maiziére und Eppelmann bereits angenommen hatten und auch noch widerstandslos hingenommen wurden, zeigte die rechts- und völkerrechtswidrige „Übernahme“ der Befehlsgewalt über die kurzerhand und unverschämt nun plötzlich als „Bundeswehrkommando Ost“ verleumdete Nationale Volksarmee des anerkannten Völkerrechtssubjekts DDR durch den Bundeswehr-General Gerd Schönbohm am 14. August 1990 (!) - als hätte es diesen souveränen Staat nie gegeben! Im Prozess der Rückwärtswende vom Herbst 1989 und der begonnenen Auslieferung der DDR an die BRD waren Staats- und Sicherheitsorgane soweit paralysiert worden, dass der Gedanke an eine Verweigerung des Gehorsams gegenüber einer durch offenkundigen politischen Betrug ans Ruder gekommenen Regierung von Verrätern an der Republik gar nicht erst aufkam. Fast überflüssig ist es da, zu erwähnen, dass eine halbwegs gesicherte (klein)bürgerliche Existenz vor der einst in der SED so oft beschworenen Parteitreue ging. Das machte sich in der Mitgliederzahl der PDS natürlich sehr negativ bemerkbar und bedeutete eine große zahlenmäßige Schwächung der Partei, die nach wie vor für eine gesellschaftliche Alternative zum Kapitalismus eintrat. Auch hier hatte sich letztlich die Sinnlosigkeit des gerade unter der Führung Erich Honeckers immer stärker gewordenen Sicherheitswahns und des dadurch verursachten kostspieligen Aufblähens des Sicherheitsapparates gezeigt. Die rechts- und völkerrechtswidrige „Auflösung“ der NVA sollte zu allem Überfluss den bundesdeutschen Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) nicht daran hindern, angesichts der 11.000 gnädigst in die Bundeswehr aufgenommenen Überläufer die in die Arbeitslosigkeit geschickte große Mehrheit der NVA-Angehörigen auch noch mit dem von ihm in die Welt gesetzten Propagandamärchen von der Bundeswehr als der „Armee der Einheit“ zu verhöhnen und die wahren Tatsachen zu leugnen.

Vor 60 Jahren war die Nationale Volksarmee gegründet worden, 34 Jahre hatte sie Bestand, von denen die letzten beiden mit Sicherheit die schwersten und schlimmsten waren. Doch niemand kann ihr nehmen, dass sie stets eine Verteidigungs- und nie eine Aggressionsarmee war. Sie war immer ihrem Auftrag gerecht geworden, durch ihre Existenz den Frieden zu bewahren. Die DDR vor jener Politik zu schützen, die es so trauriger- wie beschämenderweise nötig gehabt hatte, sie „zum Verschwinden zu bringen“, hatte sie auf Grund der Unterwürfigkeit ihrer letzten Führung leider nicht vermocht. Eines bleibt ihr aber auf jeden Fall: Im Gegensatz zur Bundeswehr hat sie weder aggressive Ziele verfolgt noch ist sie jemals in ein anderes Land eingefallen und hat Krieg geführt. Alle gegenteiligen Behauptungen entbehren jeder Grundlage: So hatten im Herbst 1989 selbsternannte „Bürgerbewegte“ behauptet, die NVA habe sich am 21. August 1968 am Einmarsch von Truppen aus Staaten des Warschauer Vertrages in die ČSSR beteiligt und so zum Ende des „Prager Frühlings“ beigetragen. Das entspricht nachweislich überhaupt nicht den Tatsachen, war sich doch die Partei- und Staatsführung der DDR angesichts des Einmarschs der faschistischen Wehrmacht in die tschechischen Grenzgebiete 1938 und der Besetzung des Reststaates 1939 der unweigerlich folgenden politischen Auswirkungen sehr genau bewusst gewesen. Die NVA war im Stab der Truppen lediglich mit einigen Verbindungsoffizieren vertreten und lag auf eigenem Staatsgebiet für den Fall einer Eskalation der Lage in Reserve. Darüber, wie dieser „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ wirklich aussehen sollte, ließ der einst als „Chefreformer“ gefeierte Ota Šik in einem Interview für die Jugendzeitung „Mladá Fronta“ am 2. August 1990 die Katze aus dem Sack: „... wir konnten damals nicht alle unsere Ziele voll präsentieren... Also war auch der dritte Weg ein verschleierndes Manöver. Schon damals war ich überzeugt, daß die einzige Lösung für uns ein vollblutiger Markt kapitalistischer Art ist.“ Mit anderen Worten – jener „Prager Frühling“ sollte den kapitalistischen Umsturz bringen! Sollten das jene „Bürgerbewegten“ nicht gewusst haben oder wussten sie es doch und zogen in ihrem Antikommunismus dagegen zu Felde, dass sich Staaten des Warschauer Vertrages gegen dieses Vorhaben zur Wehr gesetzt hatten? Ob die militärische Lösung die einzig mögliche und richtige war, ist dabei eine ganz andere Frage. Ebenso waren zu Beginn der 1970er Jahre Gerüchte verbreitet worden, Einheiten der NVA sollten zur Unterstützung der Vietnamesischen Volksarmee in ihrem gerechten Kampf gegen die USA-Aggressoren eingesetzt werden. Ängste um Ehemänner und Söhne wurden ausgelöst, doch sehr schnell erwies sich, dass auch hier nichts den Tatsachen entsprach. Der Nationalen Volksarmee bleibt auf immer die Ehre, die einzige deutsche Friedensarmee zu sein.

 

 

 

Quellen:

Allertz, Robert: „ Im Visier die DDR. Eine Chronik“, 2. Auflage, Edition Berolina, Berlin 2014

Denkmann, Justus von: „Wahrheiten über Gorbatschow“, SPOTLESS-Verlag, Berlin 2005

Heinrich, Eberhard und Ullrich, Klaus: „Befehdet seit dem ersten Tag“ (Untertitel: „Über drei Jahrzehnte Attentate gegen die DDR“), Dietz Verlag, Berlin 1981

books.google.de/books

Taschenkalender der Kasernierten Volkspolizei 1956, Verlag des Ministeriums des Innern

Taschenkalender der Nationalen Volksarmee 1957, Verlag des Ministeriums für Nationale Verteidigung

Teller, Hans: „Der kalte Krieg gegen die DDR“ (Untertitel: „Von seinen Anfängen bis 1961“), Akademie-Verlag, Berlin 1979

www.bundeswehr.de › ... › Streitkräfte › Wehrpflicht und Wehrdienst

www.gbmev.de/.../Nr.73%20Kalter%20Krieg%20gegen%20die%20DDR...

www.nva-forum.de/nva-board/index.php?s...showtopic=18060

www.rotfuchs.net/files/rotfuchs-beilagen.../RF-152-09-10-Beilage.pdf

www.spiegel.de › DER SPIEGEL

www.zeit.de › Start › DIE ZEIT Archiv › Jahrgang 1967 › Ausgabe: 06