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Die neuen Eigenkapitalvorschriften für Banken sind ein erster Ansatz, gehen aber nicht weit genug – von Jürgen Klute und Karsten Peters

Im September diesen Jahres einigte sich der Baseler Ausschuss – ein Komitee von Vertretern der weltweit wichtigsten Notenbanken – auf einen gemeinsamen Vorschlag, wie die Eigenkapitalvorschriften für Banken künftig neu geregelt werden sollen. Offiziell bestätigt wurde dieser Vorschlag Mitte November auf dem G20-Gipfel in Seoul.

Nicht erst seit der Finanzkrise ist klar, dass Kredite ausfallen können. Schon vor rund 20 Jahren  verständigten sich einige Industriestaaten deshalb darauf, möglichst einheitliche Standards zu erarbeiten, wie viel Geld eine Bank halten muss, wenn sie an ihre Kunden Kredite ausgibt. 

Mit der so genannten Eigenkapitalreserve soll verhindert werden, dass zum Beispiel die fiktive Müllerbank zahlungsunfähig wird, wenn ungewöhnlich viele Kredite ausfallen. Das ist vor allem deshalb wichtig, weil die Müllerbank nicht nur Herrn Meier einen Kredit gegeben hat, sondern Spareinlagen von Frau Schultz, Herrn Voss und vielen anderen verwaltete und außerdem noch Geschäfte mit anderen Banken führte, von der einen hatte sie sich Geld geliehen, der anderen wiederum hatte sie Geld geborgt. Ganz nebenbei finanzierte die Müllerbank noch mehrere Unternehmen, hatte Aktien eines Autoherstellers und verwaltete das Vermögen einer Immobiliengenossenschaft. 

Wenn nun die Müllerbank Insolvenz hätte anmelden müssen, wären alle diese Geschäfte zusammengebrochen, das Geld der Immobiliengenossenschaft wäre ebenso weg wie das der privaten Sparer und der anderen Banken – eine Kettenreaktion wäre möglich, bei der die gesamte Wirtschaft in eine Krise gestürzt wäre – so ähnlich, wie es nach der Lehman-Pleite vor zwei Jahren zu beobachten war. 

Der Vorläufer der heutigen Bankenregeln, Basel I, definierte relativ stur, dass für jeden ausgegebenen Kredit acht Prozent Eigenkapital zu halten waren. Das war ziemlich unspezifisch, weil damit das Ausfallrisiko der einzelnen Kredite nicht berücksichtigt wurde, alles wurde über einen Kamm geschoren. Mit Basel II, in der EU  seit 2007 verbindlich, fand die Risikobewertung Einzug in die Bankbilanzen – und damit die Ratingagenturen. Die Agenturen sollten das Ausfallrisiko der Anlagen bewerten, je höher das Risiko, umso höher das Eigenkapital. Der vorherige Standardsatz wurde zum Höchstsatz, also für die riskantest möglichen Spekulationen mussten acht Prozent Eigenkapital vorliegen, alles andere war billiger. 

Bei Basel III geht es im Kern um die Qualität und die Höhe des Kapitals. Die neuen Vorschläge räumen mit der Praxis auf, dass nahezu jedes Finanzmarktprodukt unter bestimmten Umständen als Eigenkapital angerechnet werden kann. Basel III unterscheidet scharf zwischen hartem Kernkapital (Core Tier 1) und erweitertem Kernkapital (Tier 1) und definiert ganz klar, was zum harten Kernkapital gezählt werden kann. 

Bei Banken, die als Aktiengesellschaften organisiert sind, sind es ausschließlich Stammaktien und Gewinnrücklagen, denn nur auf diese beiden Kapitalformen kann die Bank im Notfall jederzeit schnell zurückgreifen. Genossenschaftsbanken dürfen ihre Genossenschaftseinlagen sowie die auch für Sparkassen und Landesbanken genehmigten stillen Einlagen einrechnen. Für diese deutsche Sonderform gilt jedoch eine Frist: bis 2018 müssen die stillen Einlagen in eine andere Form überführt sein. 

Damit wird erst einmal sichergestellt, dass künftig keine Schrottpapiere mehr als Eigenkapital geführt werden dürfen, deren Preis im Krisenfall zusammenschnurrt wie ein Industrieschnitzel in der Pfanne. Und die Quoten sind beachtlich: Das risikosichernde Kapital, also das Eigenkapital, das zur Sicherung von Kreditrisiken eingesetzt wird, muss zu mindestens 75 Prozent aus dem harten Kernkapital bestehen – bei Basel II waren es noch 25 Prozent und die Definition des harten Kernkapitals war sehr viel weiter. Unabhängig davon erhöhen sich die Quoten zur Mindestkapitalausstattung: Basel III verlangt sechs Prozent Kapitaldeckung des Risikos aus Tier 1 und 4,5 Prozent aus Core Tier 1, bei Basel zwei waren es vier und zwei Prozent

Zusätzlich zu diesen Verschärfungen am Kapitalbegriff sehen die Baseler Vorschläge einen zusätzlich zu schaffenden Puffer („conservation buffer“) vor, der einen schnellen Kapitalabfluss verhindern soll. Dieser Puffer fängt noch einmal 2,5 Prozent des Risikogewichts auf und er darf ausschließlich aus Core Tier 1 bestehen. Wenn die Bank diese Grenze unterschreitet, muss sie zwar kein neues Eigenkapital bilden, sie darf aber keine Dividende mehr ausschütten. 

Einen weiten Bogen hat der Ausschuss bei der Definition systemrelevanter Bank geschlagen, einer Bank, die im Fall einer Insolvenz von der öffentlichen Hand gestützt werden müsste, um zu verhindern, dass die gesamte Volkswirtschaft im Strudel des schwarzen Lochs verschwindet. Der schwarze Peter lag vom September, als die Vorschläge in Basel veröffentlicht wurden, bis Anfang November bei den G 20. Dort sollte darüber entschieden werden. Doch auch die Regierungschefs konnten sich nicht einigen und vertagten sich. 

Vor dem Hintergrund von Basel II stellen die aktuellen Vorschläge einen gewaltigen Fortschritt dar, es bleiben aber einige erhebliche Mängel: 

Noch immer bezieht sich das Regelwerk ausschließlich auf Banken - Hedgefonds, Kapitalbeteiligungs-Gesellschaften („Private Equity“) und Versicherungen tauchen weiter nicht auf. 

Zudem gelten sehr lange Übergangsfristen – erst 2018 müssen Banken die neuen Vorschriften vollständig einhalten – vorausgesetzt, sie werden von den nationalen Regierungen tatsächlich eins zu eins umgesetzt. 

Und auch bei der zentralen Bemessung der Risiken besteht noch erheblicher Nachholbedarf. Wie schon bei Basel II liegt ein guter Teil der Entscheidung darüber, wie riskant die ausgegebenen Kredite denn nun sind, wie viel Eigenkapital also nach der Risikoberechnung vorgehalten werden muss, bei den Rating-Agenturen. Lediglich Verschärfungen der Risikoberechnung sind bislang angekündigt.

Mitte November hat der G20-Gipfel die Vorschläge gebilligt, jetzt sind die nationalen Regierungen am Zug. Auf EU-Ebene erarbeitet die Kommission einen Richtlinienvorschlag, der von Parlament und Rat abgestimmt wird. Wie viel von den Vorschlägen dabei auf der Strecke bleibt, oder ob in Teilen sogar eine Verschärfung gelingt, wird sich dann entscheiden.