Nichtbeachtung oder Widerspruch?

Politik im Land

Vor 10 Jahren wurde die AfD gegründet. Seit 2017 sitzt die „Alternative für Deutschland“ im Bundestag. Doch wie sollen Demokrat*innen mit ihr am besten umgehen? Und wie groß ist die Gefahr einer

zukünftigen Zusammenarbeit von der Union mit der Nazipartei?

Von Martina Renner, Sprecherin für Innenpolitik und Antifaschismus der Linksfraktion im Bundestag.

 

Im Umgang mit Reden der AfD im Bundestag gibt es zwei grundsätzliche Unterschiede. Während die einen Rassismus, Geschichtsrevisionismus und Verschwörungsideologien widersprechen, wollen die anderen die Äußerungen und Themen der AfD nicht aufwerten, indem man sich an ihr abarbeitet.

 

Zwischen Nichtbeachtung und Widerspruch bewegen sich viele verbale Reaktionen auf die AfD. Trotzdem ist es bislang ohne formale Absprachen mehrfach gelungen, aktuelle Stunden oder von den Rechtsaußen initiierte Debatten gegen diese zu wenden und deren Rassismus zum Thema zu machen. Auch einen Vizepräsidenten des Bundestages konnte die AfD bislang nicht stellen, weil ihre Kandidaten regelmäßig nicht gewählt werden. Großspurige Ankündigungen der AfD bei ihrem ersten Einzug in den Bundestag verpufften ebenso wie die Drangsalierung des Parlaments mit aufgenötigten Geschäftsordnungs-Debatten.

 

In der aktuellen Legislatur des Bundestages gibt es aber auch irritierende Veränderungen. Formal ist die Fraktion weiterhin politisch isoliert, sie ist für die extrem rechte AfD aber ein Zugewinn an Aufmerksamkeit, Reichweite und Einfluss. Die Fraktionsvorsitzenden sind regelmäßig Gast in Talkshows, in wichtigen Formaten wie dem Morgenmagazin von ARD und ZDF oder Interviewpartner*innen im Hörfunk. Parlamentarische Anfragen der AfD dagegen werden im Bundestag weiterhin nicht aufgegriffen. Sie spielen aber für ihre Mitgliedschaft und die Anhänger*-innenschaft ebenso eine wichtige Rolle wie die Reden im Plenum. Dienen sie doch zum einen als Arbeitsnachweis und zum anderen verlagert die AfD damit ihre Feindbestimmung in den Raum des vorgeblich parlamentarisch Formalen. Aktuell bedient eine Reihe von  Anfragen zentrale Verschwörungstheorien oder richtet sich gegen geförderte Projekte im Rahmen der Bundesprogramme für Demokratie. Ihre Verleumdungskampagnen gegen die Zivilgesellschaft, welche die Partei in den Landtagen vorexerziert hat, versucht die AfD im Bundestag fortzuführen.

 

Kopf-an-Kopf-Rennen von AfD und Union, wenn es gegen Linke, Ausländer oder Klimaschützer geht

 

Hinzu kommt, dass sich Themensetzung und Tonalität im Bereich der Innenpolitik in der aktuellen Wahlperiode verändert haben. Die Schwerpunkte der CDU/CSU haben sich von klassischer Sicherheitspolitik fast vollständig verschoben hin zu Aufregerthemen wie Aufnahme von Geflüchteten und Kriminalität, die Menschen mit Migrationsgeschichte zugeschrieben wird, oder auch „Linksextremismus“. Quasi jede Sitzungswoche wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen von AfD- und Unions-Fraktion aufgeführt, wer im Innenausschuss schneller Berichtersuchen zu „Ausländerkriminalität“ auf den Weg bringt oder eine aktuelle Stunde zur „Letzten Generation“ beantragt. Der Rechtskurs unter Friedrich Merz macht in vielen Themen die Rhetorik zur AfD verwechselbar. Hinzu kommt die neue Rolle der Union als größte Oppositionspartei und eine offenkundige Strategie, Themen von der AfD zurückholen zu wollen. Die Neuauflage der ursprünglich schon vor einem Jahrzehnt in Unionskreisen kreierten Wortschöpfung des „Sozialtourismus“ stammt von CDU-Chef Merz. Sie legitimiert damit eine ähnliche Form der Hetze, wie sie von der AfD betrieben wird. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Entwicklung die Hemmschwelle der direkten parlamentarischen Zusammenarbeit schwinden lässt.

 

Eine weitere Bühne hat die AfD im Zusammenhang öffentlicher Anhörungen der Fachausschüsse entdeckt. Diese dienen dazu, Gesetzentwürfe und Anträge von Fachexpert*innen begutachten zu lassen, die ihre Stellungnahmen vortragen und dazu befragt werden können. Die AfD lädt aktuell vermehrt Vertreter*innen aus dem Spektrum der Klimaleugner*innen und des Geschichtsrevisionismus ein.

 

Hemmschwelle der CDU für Zusammenarbeit droht zu schwinden

 

Außerdem spielt sich der politische Betrieb in Berlin auch außerhalb des Bundestages ab, in Kontakten zu Interessenvertretungen aber auch als gesellschaftliches Leben. Dort ist von Distanz zur AfD gelegentlich wenig zu spüren. Die Frage ist, inwieweit diese schleichende Normalisierung irgendwann in politische Akzeptanz münden könnte. Anders als in manchen Landtagen lässt sich eine direkte Zusammenarbeit von CDU und AfD im Bundestag noch nicht beobachten. Die AfD selbst sorgt immer wieder dafür, dass zarte Formen der Annäherung zerstört werden. Mit einer Fraktion, die offenbar in Teilen der parlamentarische Arm einer rechtsterroristischen Verschwörung  von „Reichsbürgern“ ist, kann sich die Union im Rampenlicht des Bundestags nicht einlassen. Sollten die Barrieren in einzelnen Bundesländern fallen, bleibt abzuwarten, ob das so bleibt.