Mobil ohne Auto?

Politik im Land

Die Europäische Mobilitätswoche zeigte Alternativen zum motorisierten Individual-

verkehr auf. Das wäre gute für die Umwelt und würde die Lebensqualität für alle verbessern.

Drehtür: Von der CDU zur Autolobby 

 

Die Autolobby ist in Deutschland nach wie vor eine mächtige Organisation. Und auch Thüringer Spitzenpolitiker, wie der frühere Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) schlüpfen gerne durch die Drehtür. Sprich, sie werden Lobbyisten für die Autoindustrie. Althaus beim Zulieferer Magna, Jahresumsatz 40 Milliarden Euro. Kleinere Brötchen muss da der frühere Landtagspräsident Christian Carius (ebenfalls CDU) backen. Einst Minister und Landtagspräsident, arbeitet er nach einer Schlammschlacht mit Mike Mohring für den Autozulieferer Mubea – Jahresumsatz: Immerhin noch 2 Milliarden. Angesichts solcher Verquickungen von Politik und Autoindustrie wundert es nicht, dass die große Verkehrswende in Thüringen weiter auf sich warten lässt. Aber es geht auch anders. Statt ADAC, gibt es auch den ADFC und viele andere, die sich im Rahmen der Europäischen Mobilitätswoche mit nachhaltigen Alternativen zum motoriserten Individualverkehr beschäftigten.

 

20 Prozent aller Neuzulassungen sind SUV

 

Einer der Höhepunkte: der Parking Day. Wo sonst Autos dicht an dicht wertvollen Raum in den Innenstädten versperren, hieß es am 17. September Käffchen schlürfen und Kuchen mampfen. Und das in bester Lage in der Erfurter Andreasstraße mit Blick auf den Dom. Für solche Aktivitäten ist sonst einfach kein Platz. Zumal die Autos über die Jahrzehnte immer größer geworden sind. Der VW Golf, seit Ewigkeiten das mit Abstand meistverkaufte Auto in Deutschland, war 1979 noch 1,61 Meter breit und 3,72 Meter lang. Heute: 1,79 breit und 4,25 lang. Und im Vergleich zu den immer beliebteren SUV ist das noch relativ klein. Allerdings waren mehr als 20 Prozent aller Neuzulassungen seit 2019 diese monströsen Spritfresser.

 

Parkplätze werden aus der Stadt verschwinden

 

Immerhin hat Erfurt seit Februar einen neuen Verkehrsdezernenten, der so ziemlich das Gegenteil von einem CDU-Autolobbyisten darstellt. Matthias Bärwolff (LINKE) fährt nicht nur selber lieber Rad statt Auto, der studierte Stadt- und Raumplaner will auch das Platzproblem endlich angehen. Dazu werden Parkplätze aus der Stadt verschwinden müssen, auch wenn das Geschrei groß sein wird. Schließlich braucht Erfurt Platz für Radwege, Bäume oder Kultur und andere Lustbarkeiten, welche die Lebensqualität für alle und nicht nur für die SUV-Fahrer*innen deutlich erhöhen.

 

Vorfahrt für Autos, Stress für Kinder

 

Die Realität sieht aber noch anders aus. „Die Schotte“ hatte am 18. September zu einem Minutentheater eingeladen. Einfach kurz auf die Fußklingel und schon geht’s los mit einer Szene aus Sommernachtstraum, MacBeth oder Tartuffe. Doof nur, dass ständig Autoverkehr den Kulturgennuss stört. Besonders typisch: die Sorgen einer jungen Mutter, die mit zwei kleinen Kindern auf dem Rad unterwegs war. „Schnell, schnell“, herrschte sie ihre Kinder beim überqueren der Straße an, weil bereits ein dicker Mercedes heranraste. In Städten wie Erfurt haben Autos fast überfall Vorfahrt. Kinder, die auf der Straße spielen, leben gefährlich und deswegen werden sie auf Spielplätzen kaserniert, damit die Autos weiter mit 50 durch die Stadt brettern können. Das ist keineswegs übertrieben, denn abgezäunte Spielplätze setzten sich erst mit dem drastisch zunehmenden Autoverkehr nach dem 2.Weltkrieg in Deutschland – Ost wie West – durch.

 

1,5 Millionen Autos für 2,1 Millionen Menschen in Thüringen

 

Fast 1,5 Millionen Autos waren in Thüringen am 1.1. 2021 zugelassen und das bei nur 2,1 Millionen Einwohner*innen. Kommen in Erfurt auf 213.000 Einwohner „nur“ 117.000 Autos ist das Verhältnis im ländlichen noch viel krasser. Spitzenreiter pro Einwohner*innen ist der Landkreis Schmalkalden-Meiningen mit 96.000 Autos auf 125.000 Einwohner*innen. Allerdings fährt hier oft auch nur der Schulbus und sonst nichts. Das Rad ist, anders als in Erfurt, auf Grund der langen Wege und des gebirgigen Terrains für viele nicht wirklich eine Alternative. Und wenn der Spritpreis in exorbitante Höhen steigt, dann werden wohl – wie in Frankreich – auch im Thüringer Wald die „Gelbwesten“ auf der Straße Rabatz machen. Deshalb kann die Verkehswende nur in den Städten beginnen, wo es einen ausgebauten öffentlichen Nahverkehr gibt und bei vielen jungen Leuten der Trend weg vom eigenen Auto geht. Wird doch mal eines benötigt, gibt es immer mehr Teil-Auto-Angebote (Car Sharing).

 

„In Erfurt ist vieles nur auf Tourismus und Shopping ausgelegt“

 

Problem: „In Erfurt ist vieles nur auf Tourismus und Shopping ausgelegt, aber die Lebensqualität der Stadtbevölkerung wird nicht als dringlich empfunden“, schimpft Frank Mittelstädt, einer der Organisatoren des autofreien Sonntags. Er hat Stadt- und Raumplanung studiert und weiß, wie weit andere Städte in Europa bei der Verkehrswende schon sind. „Aber, ob Münster, Stockholm oder was auch immer, stets wird entgegnet: Das ist nicht vergleichbar! Dabei ist die Frage der Flächengerechtigkeit trotzdem überall gleich“, so Mittelstädt.

 

„Es ist durch die Ampelschaltung fast unmöglich, eine vierspurige Straße bei Grün zu überqueren“

 

Doch, in Erfurt sind die Fronten verhärtet. Für die einen ist die Verkehrswende der größte links-grüne Schwachsinn noch vor dem Gendern und für die anderen sind alle SUV-Fahrer der Teufel in Person. Dabei steht in der Straßenverkehrsordnung schon in Paragraph 1: „Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.“ So ist es auch in der Innenstadt-Begegnungszone gedacht. Die wurde 2012 ersonnen, weil sich alle Verkehrsarten gleichberechtigt bewegen sollen. „Aber das wird kaum kommuniziert“, kritisiert Mittelstädt. Auch bei den vielen Neubauten, die überall in die Höhe wachsen, sei die Stadt froh, dass überhaupt Investoren kommen. Hier müsste die Stadt härter verhandeln, um mehr Fahrradstellplätze, Car-Sharing und Ähnliches in den Wohnquartieren außerhalb des Zentrums zu befördern, fordert Mittelstädt, der als „Spaziergangwissenschaftler“ vor allem auch für Fußgänger*innen kämpft. Denn: „Es ist durch die Ampelschaltung fast unmöglich, eine vierspurige Straße bei Grün zu überqueren“. Vor allem für Kinder und ältere Menschen im Alltag ein echtes Ärgernis. Das juckt aber kaum jemanden. Das Auto bestzimmt die Debatten. Das große Aufreger Thema ist – nicht nur in Erfurt – stets mangelnder Parkraum und Stau in der Rush Houer.

 

Kinder, Radfahrer*innen oder die Natur brauchen Räume

 

Für sichere Schulwege kämpfen dafür Leute wie der frühere Schulleiter Falko Stolp vom Verkehrsclub Deutschland (VCD). Leicht hat er es nicht, aber das Bewusstsein für die Verkehrswende wächst langsam: „Klimacamp, Fridays for Future, VCD oder ADFC, ob freie Initiativen oder Institutionen, es kommen immer mehr Leute zusammen. Das war Anfang der 2000er noch ganz anders“, so Mittelstädts vorsichtig optimistischer Blick in die Zukunft. Dazu kommt, dass auch die Erfurter Kulturszene politisch ein Stück weit mitmischt. Beim autofreien Sonntag hat sich das direkt am Ring gelegene Volkskundemuseum beteiligt. Auch beim „Kultur Flaniert“, der Tag der Sozi-Kultur in Erfurt, wurde für den autofreien Sonntag und die Mobilitätswoche geworben. Logisch, denn nicht nur spielende Kinder, Radfahrer*innen oder die Natur brauchen Räume, um sich zu entfalten.

 

Thomas Holzmann