Langweiler werden weggezappt

Politik im Land

UNZ hat sich bei der digitalen Basiskonferenz der Thüringen LINKEN eingeloggt und festgestellt, dass dieses Format ziemlich frisch und unterhaltsam sein kann.

Parteien sind nach innen immer ziemlich konservativ. Aber die Pandemie zwingt zu anderem Denken, alle und ausnahmslos. Dabei bieten digitale Formate durchaus reichlich Möglichkeiten der Mitgestaltung und Mitbestimmung. Aber nicht alle sind „Digital Natives“ (digitale Eingeborene), denen das Smartphone in die Wiege gelegt wurde. Wie laufen digitale Polit-Veranstaltungen überhaupt ab? UNZ hat sich bei der Basiskonferenz der Thüringer LINKEN am 19. Januar mit eingeloggt und Erstaunliches beobachtet. 

 

Gesichter, statt Hinterköpfe

 

Anfangs scheint alles wie immer. Geschäftsführer Mathias Günther eröffnet die Versammlung. Anders als sonst schaut mensch den rund 80 Teilnehmenden ins Gesicht, anstatt wie sonst auf ihre Hinterköpfe. Es ertönt die Stimme von Bodo Ramelow. Ein Mausklick, dann gibt es auch ein Bild dazu. Weil gerade die Ministerpräsidenten-Konferenz tagt hat er eine kurze Videobotschaft erstellt und betont, wie sehr es ihn umtreibt, dass sich Hartz-IV-Empfänger*innen keine FFP2-Masken leisten können, und dass es gerade jetzt linke Perspektiven brauche. Schließlich zeige die Krise, was auch vorher schon falsch lief.

 

AB 19:30 Uhr in Hildburghausen keine Netz?

 

Danach hat die Landes- und Fraktionsvorsitzende, Susanne Hennig-Wellsow, das Wort und erläutert ausführlich, warum es coronabedingt keine andere Option gab als die Landtagswahl zu verschieben. Anschließend will Mathias Günther erklären, dass in Hildburghausen, wo er sich im Home-Office befindet, das Internet ab 19:30 Uhr viel schlechter wird und deswegen Eile geboten sei. Witzigerweise stottert die Übertragung genau in diesem Moment, wie ein Wartburg mit Fehlzündungen. 

 

Keine Angst vor Angriffen auf Ramelow

 

In Erfurt gibt es da besseres Netz. Susanne Hennig-Wellsow übernimmt wieder und kündigt einen neuen Stabilitätspakt mit der CDU an. Hauptziel: „Keine weitere Zusammenarbeit mit der AfD! Das sei sehr viel wert, betonte die Vorsitzende mit Blick auf den „Dammbruch“ vor gut einem Jahr. DIE LINKE würde da gerne noch mehr vereinbaren, aber das sei mit der CDU schwer zu machen. Klar ist aber auch: Was einmal mit den Konservativen vereinbart wurde, gilt. Bei Kompromissen mit der SPD bröckelt es dagegen oft sehr viel schneller. Es sollte sich aber, ob der Angriffe auf den Ministerpräsidenten, keiner zu große Sorgen machen. Die, so Hennig-Wellsow, erklären sich aus dem Überlebenskampf der kleineren Koalitionspartner. Die LINKE könne aber auf ihre eigene Kraft vertrauen. Will heißen: Ramelows Amtsbonus wird ziehen. 

Nach einer halben Stunde ist die Einführung abgehakt und die Diskussion kann beginnen. Es können über die Webcam Fragen gestellt werden, ebenso über den parallel dazu laufenden Chat. 

 

Manchmal hilft nur der Griff zu Flasche 

 

Mit der Wahlverschiebung sind so ziemlich alle einverstanden. Einige an der Basis sind sogar froh, keinen „Winterwahlkampf“ führen zu müssen, während alles verboten ist, außer wählen und arbeiten.  Diskussionskultur und Moderation bewegen sich insgesamt auf hohem Niveau. Nur bei manchen relativ sinnfrei erscheinenden Fragen müssen die Vorsitzende und auch so manch andere kurz zur Flasche greifen.

 

Wie im klassischen linearen TV

 

Nach weiteren 40 Minuten teilt sich die Basiskonferenz in drei Gruppen auf: Damit steigt der Entertainmentfaktor noch weiter an. Zwischen den Räumen lässt es sich trefflich hin und her schalten, ganz wie im klassischen linearen TV. Wer langweiliges Zeug erzählt, wird einfach weggezappt.

 

Zwischen staubtrocken und „Kool and the Gang“

 

In Gruppe A, wo sich die Mehrheit der Teilnehmenden befindet, geht es heftig politisch zur Sache. Torsten Weil, Staatssekretär im Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft, schimpft über die „Egomanie“ der SPD, die kaum an gemeinsamen Lösungen interessiert sei. Anders DIE LINKE, wo sich viele sorgen, wie Geringverdiener die FFP2-Masken bezahlen sollen. Auch die Fokussierung auf das Thema Home-Office wird kritisiert. Weniger aus grundsätzlicher Ablehnung als aus der Überlegung, dass DIE LINKE Menschen, die bei Amazon oder anderswo körperliche Arbeiten verrichten, nicht hinten runterfallen lassen sollte, wie u.a. die Sozialpolitikerin Karola Stange bemängelt. 

Im Raum B geht es ruhiger zu. Thema hier: das Wahlprogramm. Die Debatte ist für einige offenbar so staubtrocken, dass sie nur mit dem Genuss hochwertiger tschechischer Braukunst zu ertragen ist. 

In Gruppe C schließlich „Kool and the Gang“. Getrunken wird hier – zumindest sichtbar – zwar weniger, dafür wird heiter über Hunde und Hamster gefrotzelt. Spaß muss sein und auch Inhalte kommen nicht zu kurz. Soll die Mitgliederzeitung „Linksblick“, in der alles auf den Wahltermin im April ausgerichtet ist, überhaupt noch verteilt werden? Keine gute Idee, so die einhellige Meinung. Da bleibt nur einstampfen. Schon spekulieren im Chat die ersten, was so eine Ausgabe bei ebay wert sein könne. 

Während sich im Chat andere über die Stalinisten von der MLPD echauffieren hat sich auch Chefstratege Steffen Dittes zugeschaltet – er hatte zuvor noch im Innenausschuss zu tun. 

 

Ein Franke redet Tacheles 

 

In Gruppe A fragt Michael Stammberger aus Sonneberg, ob er  auch gut zu verstehen sei. Akustisch bestens, aber der breite fränkische Dialekt macht es nicht gerade leicht. Dabei hat der Kreisvorsitzende Interessantes mitzuteilen. Eine Mitgliederbefragung habe man im Süden durchgeführt. Ergebnis: DIE LINKE ist zu akademisch, die Älteren fühlen sich nicht mehr ernst genommen und der Zick-Zack-Kurs der letzten Monate kommt gar nicht gut an.

Durchaus Verständnis für gemachte Fehler zeigt Bärbel Leucht aus Erfurt und lobt wie einige andere, dass Bodo Ramelow hier die Größe gezeigt habe, diese auch zuzugeben. 

Während es in Gruppe B schon nichts mehr zu bereden gibt, wird in Gruppe C gerade Frank Tempel zum Geburtstag gratuliert. Es fehlt eigentlich nur noch ein Kuchen aus dem 3D-Drucker. 

 

Vom Küchentisch aus alles voll im Griff 

 

Nach einer Stunde treffen sich alle schließlich in Gruppe A. Dort hat Moderator Knut Korschewsky alle Hände voll zu tun. Obwohl nicht gerade „Digital Native“ hat er die Sache von seinem Küchentisch aus aber voll im Griff.

 

Vom Mitmachen zur „Partyzipation“ 

 

In der Abschlussrunde muss Susanne Hennig-Wellsow eingestehen, dass sie nicht alle Fragen beantworten kann, weil an den Antworten noch intensiv gearbeitet wird. Die Fraktion führe einerseits heftige Abwehrkämpfe nach rechts, gegen AfD, CDU und FDP, und versuche gleichzeitig Mehrheiten für progressive Politik zu zimmern – ohne eigene Mehrheit im Landtag ein verdammt hartes Brot.  Die neue Offenheit und die Bereitschaft, Fehler zuzugeben und zum kritischen Diskurs, sind da mit Sicherheit hilfreich. Und wenn sich die digitale Mitbestimmung weiter in Richtung „Partyzipation“ entwickelt, dann hat die furchtbare Pandemie wenigstens etwas Gutes bewirkt.               

 

Thomas Holzmann