Es geht auch ohne Weltmarkt

Politik im Land

Solidarische Landwirtschaft ist ein Konzept, das nicht nur nachhaltigen Anbau ermöglicht, es ist auch ein Versuch, sich vom Prinzip Ware gegen Geld zu lösen. Wie, darüber sprach UNZ mit den „Solawistas“ in Erfurt-Büßleben.

 

Thüringen war traditionell ein Agrarland. Selbst vom Zentrum des Erfurter Domplatzes sind die nächsten Felder nur wenige Minuten entfernt und auf dem Campus der Erfurter Uni brütet eine Waldohreule, die auf den nahen Äckern ihre Jagdgründe hat. Allerdings macht die Landwirtschaft 2020 nur noch 1,7 Prozent der Thüringer Wirtschaft aus. Die meisten der  rund 17.000 Beschäftigten arbeiten in Großbetrieben. Wie generell im Osten, basieren die auf den LPG-Strukturen aus DDR-Zeiten. Die Betriebe sind gezwungen, sich den Zwängen des Weltmarktes zu unterwerfen: Friss oder stirb! So kommt das auf den Acker, was am meisten Profit verspricht. Statt Blumenkohl auf Weltniveau, heißt es heute zu oft Raps nach Super-Plus-Stil. Aber es geht auch anders! 

Natürlich mit dem Rad, schließlich sind die Radwege außerhalb des Zentrums deutlich besser ausgebaut, begibt sich UNZ acht Kilometer nach Osten. Das 1.200-Einwohner-Örtchen Büßleben, seit 1994 ein Ortsteil von Erfurt, macht einen ziemlich rausgeputzten, aber auch etwas verschlafenen Eindruck. Auf dem 4.000 Quadratmeter großen Acker der Solidarischen Landwirtschaft Erfurt, kurz SoLaWi, geht es nicht immer so beschaulich zu. Gerade sind ein paar Kühe ausgebüxt, über das Rote-Beete-Feld getrampelt und haben sich in Bewässerungsschläuchen verheddert. 

Wir haben uns mit Maria Wahle verabredet. In Erfurt kennen sie viele als überaus engagierte Frau, bei attac, dem Repair Café oder „Seebrücke“. Dabei stand sie als Geologin früher auf Seiten der Düngemittelindustrie. 

Damals hat sie viele Broschüren der Rosa-Luxemburg-Stiftung gelesen, Basis für ihren Entschluss, die Seiten zu wechseln und Gartebau an der FH Erfurt zu studieren. Neben Maria sind auch noch Janin und zwei weitere Frauen am Schaffen. Außer im Winter ist schließlich immer reichlich zu tun. 

Wie funktioniert die SoLaWi in Büßleben genau? Angebaut wird in erster Linie Gemüse, 35 bis 40 Sorten von Aubergine bis Zucchini, aber auch einige Kräuter. Und wo können die erworben werden? Die Frage ist für Maria eine Steilvorlage: „Wir versuchen, uns vom dem Prinzip Ware gegen Geld zu lösen. Wir bauen von Mai bis November nach ökologischem Standard an. Am Anfang der Saison legen wir fest, wieviele Anteile es geben wird. Das hängt von der Flächengröße und der Anzahl der Personen ab, die mitarbeiten wollen“, erläutert Maria. Insgesamt 61 Anteile sind es in  diesem Jahr. 

Wird die Ernte von einem Hagelschauer zerstört, müssen wir deswegen keine Insolvenz anmelden“

Anfang des Jahres gibt es eine große anonyme Bieterunde. Der Richtwert für einen Anteil beträgt 103 Euro. Manche Haushalte können aber nur 50 zahlen, andere dafür problemlos 150. Wer bietet, kann dann sein Gemüse aus dem Depot im Bioladen Clärchen im Erfurter Zentrum, abholen. „Das ist eine Form der Entkoppelung von den Märkten, sagt Maria. Aber auch das Risiko wird auf mehrere Schultern verteilt. „Wird die Ernte von einem Hagelschauer zerstört, müssen wir deswegen keine Insolvenz anmelden“, wirft Janin ein. 

Das klingt nach einem vielversprechenden Modell für die Zukunft. Viel größer kann die Erfurter SoLaWi allerdings kaum werden. „80 Anteile dürfte das Maximum sein“, schätzt Maria ein. Außerdem kommen die Solawistas auch bei der Kommunikation an ihre Grenzen, schließlich sollen alle stets auf dem Laufenden sein. Gerade auch für die Bereitschaft, ehrenamtlich zu arbeiten, ist das gute Kommunikation essentiell. 

„Der Bauer wollte, dass Leute herkommen, die was anders machen“,

Gerade kleine, alternative Betriebe haben oft Schwierigkeiten an Ackerland zu kommen und das nicht nur wegen der auch in Thüringen explodierenden Bodenpreise. Janin erklärt: „Das Problem sind auch die langen Laufzeiten bestehender Pachtverträge. Kleine Parzellen von wenigen Hektar gibt es zwar, aber die liegen mittendrin, ohne direkten Zugang“. Die großen Agrargenossenschaften beäugen neue Akteure meist auch sehr kritisch. Auf dem Hof in Büßleben ist das anders: „Der Bauer wollte, dass Leute herkommen, die was anders machen“, sagt Maria und fügt hinzu: „SoLaWis wachsen deutschlandweit, in Thüringen nur etwas langsamer. Aber gerade erst hatten wir Besuch von einer Gruppe aus Weimar, die auch eine SoLaWi gründen will. In Nordhausen ist leider eine kurz vor der Gründung an unklaren Eigentums- verhältnissen gescheitert.“ 

Eine Ost-West-Kiste will aber keine draus machen, auch wenn es im Westen schon viel mehr SoLaWis gibt. Schließlich haben es Betriebsneugründungen in der Landwirtschaft überall schwer. 

Die Solawistas träumen von einer besseren Welt, sind aber keineswegs Traumtänzer*innen aus dem Wolkenkuckucksheim. Trotzdem sieht es auch beim Thema Lohn- und Erwerbsarbeit nicht nach dem von Max Weber beschriebenen Geist des Kapitalismus aus. Anderthalb Stellen gibt es in Büßleben, die teilen sich drei Leute. Maria, die auch noch in einer anderen Gärtnerei arbeitet, findet: „Ich bin froh, wenn ich nicht nur einen Job von 8:00 Uhr bis 16:00 Uhr habe. Schließlich soll ja noch Zeit für Politaktivismus bleiben“. Das Totschlagargument von gefährdeten Arbeitsplätzen bei größeren Reformen in der Landwirtschaft, sei es bei der Flächenvergabe oder den Fördergeldern, zieht bei den Solawistas jedenfalls nicht. „Mehr Technik und größere Maschinen ist ein klarer Trend – auch in Thüringen. Da braucht es sowieso immer weniger Leute“, erläutert Janin. 

Können Solawis oder andere Alternativen wie die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) in Kombination mit genossenschaftlichen Erzeugerläden und Direktvermarktern als Lokomotive für  die viel beschworene „Agrarwende“ dienen? 

Gegen den Trend: große Fläche mit großem Gerät und möglichst wenig Personal zu bewirtschaften

„In der AbL sind nicht nur rein ökologische Betriebe, da geht es vor allem um kleinbäuerliche Strukturen.  Wir sind auch Mitglied, weil es  uns auch um ein starkes politisches Sprachrohr geht. Wir stehen gegen den Trend: große Fläche mit großem Gerät und möglichst wenig Personal zu bewirtschaften“, fasst Maria Wahle zusammen. 

Thomas Holzmann