Die Unteilbaren
„Wir können echt was bewegen“. Darin sind sich Andrea Keller und Marvin Volk einig. Die Omas gegen Rechts und der Klima-Aktivist wollen aber nicht auf bessere Zeiten warten, sondern im Erfurter Stadtrat die Stimme der Zivilgesellschaft sein.
Tandem seit dem Tabubruch im Februar 2020
Keine Konsequenzen, sagt Marvin Volk wie aus der Pistole geschossen auf die Frage: Was er mit dem Namen Thomas Kemmerich verbindet? Vor vier Jahren hatte sich UNZ nämlich schon einmal mit ihm und Andrea Keller getroffen. Kurz nachdem der Klimaschutzaktivist und die „Oma gegen Rechts“ im neuen Bündnis mit tausenden anderen den Kemmerich-Spuk nach wenigen Tagen beendeten. Jetzt kandidieren beide gemeinsam, quasi als zivilgesellschaftliches Tandem, für die Stadtratswahl in Erfurt.
Die FDP hat nichts gerlernt
Sehr wohl Konsequenzen hatte der „Tabubruch“ vom 5. Februar 2020 aber für Andrea Keller. Sie trat damals in die Partei Die Linke ein. „Ich dachte, jetzt muss sich wirklich endlich was bewegen“. „Die CDU und die FDP haben das damals gemeinsam mit der AfD gemacht. Aber was war die Konsequenz“, fragt Marvin Volk und gibt sich selbst die Antwort. „Kemmerich ist keine zwei Monate danach mit Nazis bei einer Corona-Demo durch Gera gelaufen. Und jetzt steht er wieder zur Wahl. Die FDP hat nichts gelernt“, schimpft Volk und kritisiert auch, dass sich Rot-Rot-Grün quasi am Nasenring von der CDU hat durch den Landtag ziehen lassen. Aber wie schon in jenen Tagen im Februar 2020, als es vor allem „die Straße“ war, die Kemmerich zum Rücktritt zwang, sind Marvin Volk und Andrea Keller nicht nur bereit zu kämpfen, sondern auch der vollen Überzeugung, dass es selbst im Osten genügend gute Leute gibt, damit wieder mal etwas besser wird.
"Wir können echt was bewegen"
„Wenn man sich heute mal überlegt wie viele Demos wir in diesen Tagen alle zusammen auf die Beine gestellt haben, darunter viele Leute, die vorher nie etwas miteinander zu tun hatten. Und als dann auf einer dieser Demos die Nachricht kam, dass Kemmerich zurücktritt und riesiger Jubel aufbrandete, da hatte ich zum ersten Mal das Gefühl: Wir können echt was bewegen“, erinnert sich Andrea Keller.
Politisch aktiv, aber noch ohne direkt miteinander für die gemeinsame Sache zu kämpfen, waren sowohl Andrea als auch Marvin. Andrea z.B. ist immer voll dabei, wenn es umbesseren Radverkehr in Erfurt geht. Marvin hat sich vor der Wahl von Thomas Kemmrich zum Kurzeit-MP von Nazi Höckes Gnaden Jahre u.a für Fridays for Future und für Geflüchtete engagiert.
Ist das der Anfang davon, dass jetzt mehr aktive Menschen aus der Zivilgesellschaft durch ihr Engagement politisiert werden und sich auch in Parlamenten und Parteien engagieren? Möglicherweise sogar so, wie das nach 1968 der Fall war, was wichtige Reformen in der Willy-Brandt-Ära erst ermöglichte? Eine These, die Andrea Keller durchaus bestätigen kann, denn von den Erfurter Omas gegen Rechts kandidieren noch zwei weitere für den Erfurter Stadtrat: Renate Wanner-Hopp war (Grüne) und Gabriele Wölke-Rebhan (Mehrwertstadt).
„Der Kontakt mit den Menschen ist das, was mich ausmacht.“
Auch, wenn Andrea für die Omas aktiv ist fühlt sie sich keineswegs alt und ist im Prinzip jeden Tag auf den Beinen. Im Frühling und Sommer verkauft sie Spargel und Erdbeeren, im Winter Schmuck. Das ganze Jahr gibt’s bei ihr die Straßenzeitung Brücke, deren Lektüre wir uneingeschränkt empfehlen können. Und weil Andrea so viel „auf der Straße“ ist, sieht sie natürlich sehr gut, wo es in Erfurt überall klemmt. „Deswegen will ich in den Stadtrat, um mitzuhelfen, dass bestimmte Sachen endlich etwas schneller in Bewegung kommen. „Der Kontakt mit den Menschen ist das, was mich ausmacht.“ Dass sie keine große Rednerin ist, weiß Andrea selbst. Aber dafür wäre sie diejenige, die endlich mal eine ganz andere Perspektive in den Stadtrat bringen würde.
"Wir haben viel zu viele Leute, deren Endziel nur ist, in die Parlamente zu kommen"
Wenn es um rhetorisches Talent geht braucht sich Marvin Volk dagegn nicht zu verstecken. Einen besseren Redner wird man auch im Thüringer Landtag schwerlich finden. Das blieb auch der Linkspartei nicht verborgen. Und obwohl der Historiker zu recht kritisch gegenüber Parteien und Parlamentarismus eingestellt ist, hat er sich dann doch, genau wie auch Andrea, von den Genoss*innen überzeugen lassen. Volk warnt aber auch: „Wir haben viel zu viele Leute, deren Endziel nur ist, in die Parlamente zu kommen und dort so einen betulichen Wandel hinzubekommen. Ich bin aber der Überzeugung, die beste Art Veränderung zu schaffen ist: mit Druck von der Straße! Ich will die Person sein, die diesen Druck von der Straße, den ich auch weiterhin selber machen werde, direkt mit ins Parlament nimmt und ihn dort übersetzt: Aus der Bewegung für die Bewegung. Vielleicht wird es dann ein klein bisschen einfacher“, so Marvins hoffnungsvoller Plan.
Dank Verbündeten im Stadtrat: Erfolg beim Aktionsplan Antidiskriminierung
Natürlich begegnet beiden, wie allen demokratischen Politiker*innen, auch Hass, Nazis und Pöbeleien. Da tut es natürlich gut, wenn wie im Fall Andrea, mal jemand an den Infostand kommt und von selbst aufzählt, was die Lebenskünstlerin so alles macht und wo sie überall aktiv ist. Dass Andrea offensichtlich richtige Fanboys hat, amüsiert Marvin natürlich köstlich. Für gute Laune im harten Wahlkampf sorgt auch ein erster kommunalpolitischer Erfolg. Marvin, der derzeit beim Dachverband der Migrant*innen in Ostdeutschland arbeitet, hat mitgekämpft, damit Erfurt endlich einen Aktionsplan Antidiskriminierung bekommt. Da standen CDU und vor allem SPD lange auf der Bremse. „Aber mit Verbündeten im Stadtrat, mit Druck von der Straße und mit weiteren Organisationen im Boot, haben wir uns durchgesetzt. So kann Politik funktionieren“.
"Uns trennt eigentlich nichts. Wir sind alle Menschen"
Ein Paradebeispiel für den Optimismus des Tuns. In einer Welt voller Krisen und schlechten Nachrichten sind Marvin und Andrea davon überzeugt, dass all das Schlechte überwunden werden kann, auch wenn es im Moment nahezu unmöglich erscheint. „Wenn ich daran nicht glauben würde, dann würde ich vor die Hunde gehen“, sagt Andrea. Marvin ist sich sogar sicher, dass bereits jetzt Communities entstehen, in denen bestehende gesellschaftliche Grenzen sich beginnen aufzulösen. Und der Generationenkonflikt, den er sowieso für aufgebauschten Blödsinn hält, wird dort komplett wegbrechen. „Diese Leute wissen, dass sie von diesem rassistischen Kapitalismus gnadenlos ausgebeutet werden und deswegen haben sie schon angefangen, eine Utopie zu leben. Die werden in der nächsten Notlage wieder gemeinsam auf die Straße gehen und erkennen: Uns trennt eigentlich nichts. Wir sind alle Menschen“.
Thomas Holzmann