Besser als der Allianz-Mann?

Politik im Land

Immer mehr Kleinanleger*innen hoffen per App, die Macht der Banken zu brechen. Doch die spielen im Börsencasino mit gezinkten Karten. Und nicht nur dadurch wächst eine extrem gefährliche Blase.

Das dicke Ende kommt bestimmt

 

Seit einem Jahr hat die Pandemie die Welt fest im Griff. Nicht selten heißt es: Die Wirtschaft könne den harten Lockdown nicht länger durchhalten und die große Krise komme erst noch. Ein Blick an die Börse zeigt ein ganz anderes Bild. Der Deutsche Aktienindex fiel im März 2020 zwar zunächst deutlich, hat mit 13.718 Punkten im Januar 2021 aber einen höheren Stand als vor Ausbruch der Pandemie (12.982). Es wird gehandelt, gezockt und auch betrogen wie eh und je. Und wie seit dem ersten großen Crash, dem Amsterdamer Tulpenfieber von 1637, kommt das dicke Ende garantiert noch. Neben den im Kapitalismus zyklisch wiederkehrenden Crashs und Krisen gibt es allerdings auch Entwicklungen, die scheinbar verlockende Möglichkeiten offerieren. So die App Trade Repubilc, der deutsche Ableger der in den USA überaus erfolgreichen App Robinhood. Das kostenlose Programm für PC und Smartphone ermöglicht Kund*innen am großen Börsenrad der bizzar-obskuren Wertpapiergeschäfte und Krypto-Währungen mitzudrehen, immer auf der Suche nach dem großen Deal. Manche glauben gar, Kleinanleger*innen haben gerade einen „Finanzkrieg“ gewonnen. Ein großer Hedgefonds hatte nämlich gegen die Computerspiel-Laden-Kette Gamestop gewettet und wollte mit fallenden Kursen den großen Reibach machen. Das haben Kleinanleger*- innen mit den Trade Apps Anfang Februar grandios verhindert. Der Verlust für den Hedgefonds ist enorm, die aktuelle Debatte um die Finanzmärkte auch.  

 

Börsenhype, der auch Linke erfasst

 

Vor allem durch die Apps wie Trading Republic sind Aktien plötzlich  für viel mehr Menschen interessant, zumal auch im Bus oder auf dem Klo munter getradet werden kann. Es ist ein Hype. Und der erfasst nicht nur neoliberale hardcore Börsengurus oder Hasardeure unterwegs. Auch Leute, die Aktienfanatiker wie Friedrich Merz doof finden, mischen mit. Sogar so mancher LINKER Berufspolitiker soll auf der heimischen Couch am liebsten über Optionsscheine reden.

 

Die Macht der Banken per App brechen?

 

Wer eine Trade App installiert muss sich, um handeln zu können, per Video-Identifikation anmelden. Für manche ein Schock, weil sie dann nicht unbedingt einen weißen Cis-Mann auf dem Handydisplay sehen. „Das war irgendwie witzig“, meint ein User. Seiner Meinung nach sind diese Apps für die Altersvorsorge auf jeden Fall besser als der „Allianz-Mann“. Nicht wenige Kleinanleger*innen hegen auch die Hoffnung, dass die großen Banken auf diesem Weg irgendwann eben nicht mehr machen können was sie wollen. Gerade Linke setzen da auf die alte These: Wissen ist Macht. An den Schulen gab es zwar schon vor 20 Jahren das „Planspiel Börse“, aber mit echtem Wissen über das, was auf den Kapitalmärkten läuft, hat der Wirtschafts-und-Recht-Unterricht nicht viel zu tun.

 

 

„Gamfication des Wertpapierhandels“

 

Die Apps dagegen locken gerade junge Menschen mit spielerischer Leichtigkeit. „Gamfication des Wertpapierhandels“ nennt das ein Nutzer treffend. Wird ein Trade erfolgreich abschlossen, wird das mit einer kleinen Animation zelebriert. So kann das Zocken noch schneller zur Sucht werden! Uli Hoeneß lässt grüßen.  

Ob an der Börse oder im Casino gilt aber: Es können nicht alle gewinnen. Und im Casino gewinnt am Ende meistens die Bank. Ob das Zocken an der Börse per App eher mit einer Partie Poker oder mit (russisch) Roulette zu vergleichen ist, hängt immer auch von den Fähigkeiten der Nutzer*innen ab. Will heißen: so wie es professionelle Pokerspieler gibt, die Geld verdienen, kann das auch mit Trade Apps klappen. Ob das aber für Massen dauerhaft funktioniert, scheint doch mehr als fraglich.  

 

Die freie Betrugswirtschaft 

 

Von Fairness, Chancengleichheit und der viel beschworenen freien Marktwirtschaft kann jedenfalls kaum eine Rede sein. Robinbood schaltete kürzlich einfach die Option die Gamestop-Aktien zu kaufen ab – zum Schaden den Kleinanleger- *innen und zum Nutzen der Hedgefonds.  „Wenn Broker den Handel zum Schutz von institutionellen Anlegern aussetzen, zeigt dies, wie empfindlich Finanzhaie reagieren, wenn ihnen ein Schwarm einen Strich durch die Rechnung macht. Hier muss die Börsenaufsicht einschreiten“, fordert der LINKE Bundestagsabgeordnete Fabio des Masi. 

Es ist nicht das erste Mal, das solche mutmaßlich absichtlichen Betrügereien vorkommen. Aussteiger aus der Finanzwelt – wie der Brite Geraint Anderson – haben schon vor der letzten großen Krise 2007 die Machenschaften zugekokster, weltfremder Emporkömmlinge der Londoner „City“ offen gelegt. Aber all das gibt es quasi seit Jahrhunderten.  

 

KI auf Koks

 

Relativ neu ist neben den Trading Apps der Hochfrequenzhandel. Der entstand in den 1980er als Computer immer erschwinglicher und leistungsfähiger wurden. Die Halte- fristen von Aktien werden seit immer kürzer und die Umsätze immer astronomischer. 

Dabei entstanden auch all die Produkte, die toxischen Schrottpapiere, die nur Raketenwissenschaft-er*innen verstehen. Kein Witz, die arbeiten lieber für Goldmann & Sachs als für die NASA, weil die Banker einfach viel mehr zahlen.  

Beim Hochfrequenzhandel sind nicht Informationen über Unternehmen oder langfristige Strategien entscheidend, sondern allein die Nähe zum Sitz dieser Börse in Chicago und die schnellste Internetleitung ausschlagend, um „Profit aus dem Nichts“ zu erwirtschaften. Und diese Art des Handels macht weltweit mehr als die Hälfte aller Umsätze aus!  Die Algorithmen, die den automatisieren Hochfrequenzhandel steuern, können aber gehörig außer Kontrolle geraten. Krassestes Beispiel: der „Flash Crash“ vom 6. Mai 2010. Der Dow Jones fiel in acht Minuten um über 1.000 Punkte. Innerhalb dieser Zeit wurden beinahe 1,3 Milliarden Aktien gehandelt, das Sechsfache des Durchschnitts.  „Die KI wirkt fast wie auf Koks“, meint dazu der LINKE Landtagsabgeordnete und IT-Experte Phillip Weltzien.  

 

Der große Crash wird kommen

 

Dieses Amalgam aus Trade Apps, Hochfrequenzhandel und den Unmengen  „billigen Geldes“, die schon seit 2001 in die Märkte gepumpt werden, lässt eine extrem gefährliche Spekulationsblase wachsen.  Frei nach David Harvey muss das früher oder später zu einer Überakkumulation führen. Das heißt nichts anders als der Crash. Was dann folgt dürfte selbst den „Schwarzen Freitag“ von 1929 noch übertreffen. Die Folgen treffen auch die Realwirtschaft: Pleitewelle, Massenarbeitslosigkeit und noch mehr Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen. 

 

Es gibt besser Geldanlagen

 

Historische Analogien sind immer schwierig. Aber der Vergleich zu den 1920er Jahren drängt sich auf. Damals gab es auch eine tödliche Pandemie – die spanische Grippe. Und an der Börse wurde gezockt wie nie zuvor. Was dann folgte ist bekannt. So groß die Verlockungen des Wertpapierhandels auch sein mögen, das Risiko ist so unkalkulierbar wie ein Atomkraftwerk auf einem aktiven Vulkan. Da scheint es doch besser sein, Erspartes in lokale Energiegenossenschaften zu investieren. Oder wie wäre es mit Mikrokrediten zur Entwicklungshilfe in Afrika? 

 

Thomas Holzmann