„Belehrungen haben wir nicht nötig“

Ob Ernst Thälmann, Friedrich Ebert oder Otto von Bismarck: Warum Linke eine offensive Geschichtsdebatte suchen sollten.

Debatten über das Bild von wichtigen Personen aus der Geschichte sind nichts neues. So unterschiedlich die auch sind: Ob Christoph Columbus, Martin Luther, Friedrich Ebert oder Helmut Kohl – glorifizierende Heldensagen und Personenkult sollten im 21. Jahrhundert im wahrsten Sinne des Wortes Geschichte sein. Klar, dass das auch vor Ikonen der Linken nicht halt macht. Anfang November hatte der Verein Weimarer Republik e.V. das Erst-Thälmann-Denkmal auf dem Weimarer Buchenwaldplatz verhüllen lassen. Der Historiker Stephan Zänker, Geschäftsführer des Vereins, betonte zwar, die Verhüllung sei Teil des Weimarer Geschichtsfestivals zum Thema Helden und habe nicht den Abriss des Kunstwerks zum Ziel. Die Kritik schmälerte das aber nicht.

 

VVN-Kritik: Gedenken an die Opfer des NS-Regimes verhüllt

 

„Diese so genannte Kunstaktion geht komplett an der Intension des Denkmals vorbei. Wir haben es hier eben nicht mit einer durchschnittlichen DDR-Skulptur zu tun. Es ist nicht möglich, diese Thälmann-Statue losgelöst von der Geschichte des Konzentrationslagers auf dem Ettersberg zu betrachten“, empört sich die Landesvorsitzende des TVVdN/BdA, Kati Engel. „Thälmann steht hier nicht für eine bestimmte politische Richtung oder Programmatik. Dieses Denkmal steht symbolhaft für die geschundenen und ermordeten Häftlinge sowie für den mutigen Widerstand dieser im KZ Buchenwald gegen ein menschenverachtendes System, welche nicht wenige mit ihrem Leben bezahlen mussten. Wer vor diesem geschichtlichen Hintergrund nun das Denkmal verhüllt, verhüllt auch das Andenken an die Opfer des NS-Regimes", so Engel. 

„Was mich am meisten ärgert, ist die nicht hinzunehmende Geschichtsklitterung des Herrn Zänker“, poltert auch die stellvertretende Landesvorsitzende, Karin Schrappe. „So behauptet Herr Zänker gegenüber der Zeit, dass Ernst Thälmann aktiv an der Zerstörung der Weimarer Republik mitgewirkt habe. Das ist Geschichtsverfälschung. Nicht die KPD hat die Weimarer Republik verraten, sondern der Schulterschluss zwischen Sozialdemokraten, Konservativen und Faschisten. Spätestens mit der Wahl von Hindenburg!“

 

Weimarer Republik e.V. : Thälmanndenkmal „nur eine Hülle“ 

 

Dr. Christian Faludi, Historiker und ebenfalls an der Verhüllung beteiligt, ist von der Wucht der Debatte ziemlich überrascht. Die Kritik kann er aber kaum nachvollziehen. Es sei Unfug, dass die Aktion Geschichte umschreiben und NS-Opfer verschwinden lassen wolle. Das Denkmal sei vor allem für jüngere Menschen „nur eine Hülle“. In einem Interview beim freien Weimarer Radio Lotte gestand Faludi aber auch, dass es viele Ältere gab, die über die Verhüllung schimpften. Jüngere hätten dagegen viele Fragen gestellt. Insofern ist die Aktion aus Sicht des Vereins ein Erfolg. Aber sie kann – und da dürften sich VVN und Weimarer Republik e.V. sogar einig sein – nicht das Ende von Geschichtsaufarbeitung sein, und das nicht nur bei Thälmann. 

 

Warum wird nur Thälmann kritisiert? 

 

Nicht nur in Zeiten, in denen sich Impfgegner als „die neuen Juden“ sehen, ist es auf jeden Fall ratsam, ein fähigen Historiker zu befragen. Dr. Steffen Kachel hat an der Uni Erfurt über „Sozialdemokraten und Kommunisten in Thüringen“ promoviert. Er hält die kritische Betrachtung historischer Personen grundsätzlich für richtig und notwendig. Aber: „Warum geht es dem Weimarer Republik Verein beim Dekonstruieren von Helden ausgerechnet und nur allein um Thälmann? Und das in unserer heutigen Zeit, in der die Demokratie erneut von Rechts unter Druck steht. Ein solcher Schwerpunkt ist für einen Verein, der sich die Propagierung demokratischer Werte auf die Fahnen geschrieben hat, mehr als erklärungsbedürftig. Wenn Thälmann problematisiert wird, was ist denn dann mit Friedrich Ebert (SPD, Weimarer Reichspräsident von 1919 bis 1925), der 1919 mit reaktionären Generalen paktierte, um in blutigen Aktionen die Arbeiter- und Soldatenräte zu entmachten?  Die damals gestärkte Soldateska wurde später zum wichtigen Nährboden und Unterstützer für den Faschismus“, kritisiert der Wissenschaftler.  

 

Wann kommt die Debatte zu Ebert und Bismarck ? 

 

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung, bei der Kachel im Vorstand sitzt, sei bereit gewesen, sich an einer kritischen Diskussion zu beteiligen, aber nur dann, wenn es um mehrere Persönlichkeiten aus verschiedenen Spektren der selben Epoche geht. Darauf gab es aus Weimarer aber keine Reaktion. „Die haben lieber ihre plakative und vollkommen einseitige Thälmann-Aktion durchgezogen“, grummelt Kachel. 

Kein Zeitgenosse Thälmanns, aber eine der bekanntesten Figuren der Deutschen Geschichte, ist Otto von Bismarck. Der hat fast in jeder Stadt ein Denkmal oder einen nach ihm benannten Turm. Er war weder Demokrat noch war das von ihm begründete „Wilhelminische Reich“ (1871 – 1918) ein Rechtsstaat. Dazu kommen drei von Bismarck initiierte Angriffskriege gegen Dänemark (1862), Österreich (1866) und Frankreich (1871). Die AfD und die neuen Rechten verehren ihn gerade deshalb, aber auch für viele  Konservative ist der Krautjunker ein Idol. Kann ein gewaltsamer Oppositions-Unterdrücker und Kriegstreiber in einer Demokratie heute wirklich noch ein Vorbild sein? Über seine Denkmale wird noch nicht diskutiert. 

 

Historiker: Thälmann keine sinnstiftende Identifikationsfigur mehr sein

 

Und wie ist das bei Thälmann? „Für die heutige Linke kann Thälmann meiner Meinung nach keine sinnstiftende Identifikationsfigur mehr sein. Dafür wissen wir seit 1989 zu viel über ihn. Er war in den 1920er Jahren beteiligt am Abbau der innerparteilichen Demokratie in der KPD und hat hier gegenüber Andersdenkenden hart durchgegriffen. Dazu teilte er eine Reihe schwerer Fehler und Irrtümer, die in der kommunistischen Bewegung dieser Zeit weit verbreitet waren. An prominenter Stelle ist hier die Sozialfaschismusthese zu nennen, nach der nicht die Nazis, sondern die SPD der Hauptfeind war. Sie hat das Zustandekommen einer gemeinsamen Abwehrfront vor 1933 ebenso behindert wie der Antikommunismus vieler SPD-Führer“, erläutert Dr. Steffen Kachel. 

 

"Wir brauchen als Linke heute keine Belehrungen"

 

Und trotzdem: „Thälmann war ein Symbol des aktiven Antifaschismus und kämpfte mit Herzblut, um andere zu überzeugen, nicht den Nazis hinterher zu rennen. Letztlich ist er als Vorsitzender einer politischen Partei und Reichstagsabgeordneter nach 11 Jahren Einzelhaft von den Nazis in Buchenwald, hier in unserer Region, ermordet worden. Das sind Tatsachen, die muss man würdigen“, so der Historiker, der auch Vorsitzender der Erfurter LINKEN ist. Sein Fazit: „Wir brauchen als Linke heute keine Belehrungen, dass Ernst Thälmann eine zwiespältige Persönlichkeit war, die auch Kritik verdient. Aber für seinen antifaschistischen Einsatz ehren wir ihn.“ Da hat er Recht. Im Vergleich zu den Konservativen, die gern trompeten, DIE LINKE solle ihre Geschichte aufarbeiten, ist diese damit schon ziemlich weit, während die CDU bei „Blockflöten“ immer noch an ein Musikinstrument und nicht an DDR-Politiker*innen denkt. Von einer kritischen Sicht auf Bismarck ganz zu schweigen. 

 

 

 

Thomas Holzmann