Auf dem rechten Auge blind

Politik im Land

Milde Strafen für Nazigewalttäter im Fretterode-Prozess nach einem brutalen Überfall auf zwei Journalisten. Das Urteil ist ein Freibrief für Neonazis und untermauert die traurige Tatsache, dass vor deutschen Gerichten Nazis, die Nazidinge tun, nicht als solche erkannt werden.

Vor viereinhalb Jahren überfielen die Neonazis Gianluca Bruno und Nordulf Heise zwei Journalisten und verletzten sie schwer.  Die beiden hatten  im April 2018 ein Treffen von Mitgliedern der rechtsextremen Szene auf dem Anwesen von NPD-Größe Thorsten Heise (der Vater von Nordulf) in Fretterode beobachtet. 

 

Zwei Journalisten brutal angegriffen 

 

Nach einer Verfolgungsjagd von Fretterode bis ins acht Kilometer entfernte Hohengandern, brachten die Nazis das Auto der Journalisten  zum Stehen. Sie zertrümmerten die Scheiben, zerstachen alle Reifen und versprühten Reizgas. Einem der Journalisten malträtierte Gianluca Bruno mit einem unterarmlangen Schraubenschlüssel so heftig  den Kopf, dass es er eine Schädelfraktur erlitt. Dem zweiten Journalisten wurde durch Heise mit einem Messer eine Stichwunde am Oberschenkel zugefügt und die Kameraausrüstung gestohlen.

 

Es war kein gewöhnlicher, sondern ein politisch motivierter Raubüberfall“

 

Wie häufig bei rechtsextremer Gewalt, lässt der Prozess lange auf sich warten.  Nordulf Heise konnte sich zeitweise sogar in die Schweiz absetzen. Gianluca Bruno lebte lange  unbehelligt auf dem Familiensitz der Familie Heise in Fretterode.

Mehr als drei Jahre brauchte es, bis der Prozess gegen zwei Neonazis wegen des brutalen Überfalls auf zwei Journalisten eröffnet wurde. Noch ein Jahr später, am 15. September, fiel vor dem Landgericht Mühlhausen das Urteil: 200 Sozialstunden, Jugendstrafe für Heise und ein Jahr auf Bewährung für Bruno. Das Strafmaß bleibt deutlich hinter dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaß zurück.  Sie hatte eine Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, für Heise gefordert  und für Bruno eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten.

Dabei hatte die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer erklärt: „Es war kein gewöhnlicher, sondern ein politisch motivierter Raubüberfall“. Auch die Nebenklage hatte eine Verurteilung wegen schweren Raubes und die Berücksichtigung der neonazistischen Beweggründe bei der Strafzumessung gefordert. Die Nazis seien gegen Journalisten vorgegangen, die in der rechten Szene als Feinde gesehen würden, um sie um jeden Preis zur Strecke zu bringen. Aber die Richterin will nicht mal einen Angriff auf die Pressefreiheit erkennen.  

 

Fassungslosigkeit im Gerichtssaal 

 

„Schon während der Urteilsbegründung verlässt einer der Nebenkläger den Gerichtssaal, Fassungslosigkeit steht ihm ins Gesicht geschrieben, auch die Besucher*innen des Prozesses ringen um Fassung“, berichtet Kai Budler, der den Prozess beobachtet hat. Der Journalist kennt die Naziszene und meint: „Das Skandalurteil entpolitisiert die Tat und sendet ein fatales Signal an die Neonazis.  In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass antifaschistische Recherche für die Aufklärung rechter Umtriebe absolut unerlässlich ist. Wenn jetzt Fachjournalisten schwer verletzt werden und die Tat mit nur milden Strafen geahndet wird, besteht die Gefahr, dass sich Medienschaffende wegen des Risikos aus der Berichterstattung zurückziehen. 

Auch einer der beiden im Eichsfeld angegriffenen Journalisten arbeitet inzwischen nicht mehr zu diesem Themenfeld. Die Ortschaft Fretterode wird damit zur No-Go-Area für als politische Gegner*innen markierte Personen und Fachjournalist*innen.“

Es ist wahrlich nicht das erste Mal, dass Nazis mit milden Strafen davon kommen. 

 

Warum tun sich deutsche Gerichte so schwer Nazis zu erkennen? 

 

Der Erfurter Aktivist und Historiker Steven Lange fängt gerade an, diese Frage zu erforschen. „Das deutsche Strafrecht ist auf Objektivität ausgelegt. Die rechtsextreme Gesinnung muss mit objektiven Tatsachen aus der Tat heraus begründbar sein. Gerichte tun sich schwer damit die subjektive Motivation wie Rassismus herauszuarbeiten ihr Hauptinteresse liegt auf der Beurteilung der Strafbarkeit der Tat - nicht den Täter:innen. Deshalb genügt es oft, wenn die Angeklagten in der Verhandlung behaupten, sie [haben sich über Rassismus keine tieferen Gedanken gemacht oder verneinen Rassist*innen zu sein. Ihr Vorleben, ihr Verhalten nach der Tat oder während der Verhandlung, wird zwar berücksichtigt, spielt aber für die Gesamtbewertung nur eine untergeordnete Rolle. Menschenfeindlichen Straftaten sind oft extrem brutal. Das kann strafverschärfend berücksichtigt werden, muss es aber nicht. 

 

Die Gesetze wurden geändert, aber den Gerichten fehlt die Schulung

 

In der Folge macht es vor deutschen Gerichten nur einen geringen Unterschied, ob ein Haus aus Eifersucht oder aus rassistischen Motiven niedergebrannt wird. Seit den frühen 90er Jahren  gab es durch den BGH immer wieder Urteile, um diese Schwachstellen zu beheben. Anfang der 2000er Jahre wurde versucht, die Kategorie der „niedrigen Beweggründe“ (ähnlich wie bei Mord) auch bei für Körperverletzungen einzuführen. So wollte man der besonderen Qualität von menschenfeindlichen Straftaten juristisch besser gerecht werden. Die Initiativen scheiterten, weil nicht unbegründet befürchtetet wurde, ein Gesinnungsstrafrecht einzuführen. 

Nach der Selbstenttarnung des NSU gab es eine Reihe von Gesetzesreformen, um Hasskriminalität juristisch besser erkennen. So kann seit 2017 die Wahrnehmung der Betroffenen in Verhandlungen berücksichtigt werden um eine Straftat ggf. als  Hassverbrechen einzuordnen. Gerichte und Staatsanwaltschaften scheuen davor jedoch zurück. Ursache dafür, ist oftmals ein Mangel an Sensibilität infolge fehlender Schulung, Personalmangel und Zeit.

Immerhin ist als Reaktion auf den NSU auf  Ebene von Dienstvorschriften und Gesetzen einiges in Bewegung gekommen. Nun wäre es an der Politik, auch Geld bereitzustellen, um mehr Personal einzustellen und entsprechend zu schulen und so der veränderten Rechtslage Leben einzuhauchen.“