„Wir sind mehr, als alle denken“
Am 23. September war wieder Klimastreik in Erfurt. Wo in der Landeshauptstadt über 1.000 kommen sind es in Pößneck 50, immerhin. UNZ sprach mit Karo Jobst von Fridays for Future im Saale-Orla-Kreis über den schwierigen politischen Aktivismus junger Menschen im ländlichen Raum.
Seit gut vier Jahren beschäftigen wir uns mit Fridays for Future. Klima- streiks oder andere Aktionen konzentrieren sich dabei fast immer auf die größeren Städte, Erfurt und Jena. Und in der Provinz, wo nur einmal die Woche der Bus fährt und regelmäßig die „Querdenken-Spaziergänge“ erduldetet werden müssen? Auch dort gibt es junge Menschen, die gegen die Klimakrise kämpfen. UNZ traf die Aktivistin Karo Jobst aus Pößneck. Sie studiert seit zwei Jahren in Weimar Urbanistik, was man auch als Stadt- und Raumforschung bezeichnen könnte. Möglicherweise landet sie sogar eines Tages selbst in den Schaltstellen einer Stadtverwaltung.
„Ich stand quasi alleine da“
In Pößneck sind es aktuell mit Karo insgesamt sechs junge Aktive: vier von der Grünen Jugend, zwei von der LINKEN. Im Grunde ist der harte Kern der dauerhaft Aktiven in Erfurt wohl auch nicht so viel größer. Die personelle Fluktuation ist offenbar in Stadt und Land das gleiche Problem: „2019, im Sommer, hatten wir die erste Demo. Dann noch eine im Herbst. Anschließend zogen leider Leute weg und ich stand quasi alleine da. Dadurch gab es zwei Jahre keine Demo bei uns.“
Die einen sammeln Müll, die anderen kübeln Hass
Aber jetzt ist Fridays for Future Saale-Orla zurück. Dabei wird sich nicht allein auf die Klima-Demos beschränkt. Beim „World Clean up Day“ wurde gerade fleißig Müll gesammelt. Rechtsextreme Internettrolle, die sonst genau das fordern, kübeln natürlich trotzdem ihren Hass in den Kommentarspalten aus. Aber es wirkt fast so, als hätten sich Aktivistinnen wie Karo schon fast daran gewöhnt.
In der 13.000 Einwohner-Stadt gibt es sogar einen Ort, an dem sich Jugendgruppen treffen und wo vor allem linke Jugendliche gerne sind: den Pößneck Alternativer Freiraum, kurz PAF. Trotzdem sagen immer noch viele: Fridays for Future hat doch gar nichts erreicht.
Ohne uns würde das Thema heute immer noch keine Rolle spielen
Das sieht Karo natürlich ganz anders: „Vor kurzem war ich bei einer Podiumsdiskussion mit dem Klimamanager in Neustadt an der Orla. Eine Teilnehmerin der Veranstaltung fragte: Warum 2017 bei der Aufstellung eines sich heute in der Umsetzung befindlichen Bebauungsplanes, der Klimaschutz überhaupt keine Rolle spielte. Er antwortete: Damals war das Thema noch nicht aktuell. Dann hat er auch noch gesagt, Fridays for Future redet ja nur und macht nichts.“ Karo hält dagegen: „Ohne die Klimabewegung würde das Thema heute immer noch keine Rolle spielen. Jetzt kommt es langsam in den Verwaltungen, in den Kommunen an, dass sie wirklich etwas tun müssen.“
Neben Fridays for Future gibt es auch in Thüringen Gruppen wie „Extinction Rebellion“ die mehr auf zivilen Ungehorsam, etwa in Form, vom Straßen-Blockaden setzen. Wer aber macht und nicht nur redet, bekommt erst recht den Hass der Klimaleugner und Autofanatiker ab. „Bei manchen Leuten ist irrelevant was wir machen, die finden sowieso alles falsch“.
Katastrophale Bilanz der Energiewende an Saale und Orla
Karo ist auch Mitglied bei den Grünen, die in der Thüringer Kommunalpolitik ein Schattendasein fristen. Der Pößnecker Bürgermeister meinte dieses Jahr in einer Stadtratssitzung: „Es ist jetzt keine Zeit für Klimaschutz. Es gibt wichtigere Probleme.“ In der Praxis bedeutet das, es werden Reformen wie die Energiewende weiter verpennt. „Gerade in unserer Region könnten noch gut neue Windräder aufgestellt werden. Aber in den Kommunalparlamenten wehrt man sich vehement. Auch Solaranlagen auf den Dächern wollte man ganz lange nicht“, so Karos katastrophale Bilanz der Energiewende im Saale-Orla-Kreis. In Städten wie Pößneck gehen regelmäßig mehrere hundert bis tausende Querdenker*innen auf die Straße. Bei Fridays for Future sind mehr als 50 schon ein kleiner Erfolg. Karo findet: „Es kommt aber nicht so sehr auf die Zahlen, sondern auf einen langen Atem an.
Über die Demos hinaus engagieren
Hauptproblem dafür: „Es gibt keine zusammenhängende Organisierung. Es gibt ein paar Leute von der Grünen Jugend und einige von der Partei DIE LINKE, aber da ist der Altersdurchschnitt recht hoch. Es gibt junge aktive Menschen, wie Ana und Tom, die maßgeblich die Demo mitorganisieren, so Karos nüchterne Analyse.
Und, dass in der Provinz nicht jeder Genosse oder Genossin gegenüber Fridays for Future so aufgeschlossen ist, wie es sicher Rosa Luxemburg gewesen wäre, kommt noch dazu. Deswegen geht Karos Blick auch über den eigenen Horizont hinaus: „Wenn wir langfristig auf der kommunalen Ebene Einfluss nehmen wollen, müssen wir uns über die Demos hinaus engagieren. Ich glaube, es gibt viele Einzelpersonen, die schon was machen oder machen wollen. Aber die wissen nichts voneinander. Der große Landkreis mit vielen Dörfern macht das auch nicht leichter. Deswegen müssen wir diese Leute zusammenbringen und ein Zeichen setzen: Du bist gar nicht alleine, wir sind mehr als alle denken. Dann können wir etwas erreichen.“
Thomas Holzmann