Winterlust und Winterfrust

Nur selten schneit es jenseits des Thüringer Waldes so viel wie in diesem Februar. In Jena oder Erfurt bedeutet das vor allem Verkehrschaos. In den Städten regiert oft der Frust, während es im ländlichen Raum mit Solidarität und Nachbarschaftshilfe schneller zur Lust wird.

Kaum Schnee – sparen am Winterdienst

 

Wenn im Februar 30 Zentimeter Schnee fallen, ist das für viele Ort im Thüringer Wald keine große Sache. Schließlich waren „echte“ Winter zwischen Ilmenau und Oberhof früher ganz normal. Aber mit der Klimakrise ist selbst der 978 Meter hohe Schneekopf nicht mehr schneesicher. Wer will es da Kommunalpolitiker*innen in Erfurt oder Jena verübeln, dass – mit Blick auf die klammen Kassen – am Winterdienst gespart wird. Schließlich braucht man den ja gefühlt nur alle 10 Jahre mal für eine Woche ...  

 

Rechtsanspruch auf geräumte Straßen in der DDR

 

Schneit es dann aber doch mal kräftiger, bedeutet das für alle, die morgens zur Arbeit müssen, viel Frust. Schließlich ging es auf Skiern besser vorwärts. Züge und Straßenbahnen fuhren nicht oder nur teilweise. Müllabfuhr und Post mussten den Betrieb zum Teil einstellen. In Jena bibberten fast 15.000 Menschen stundenlang in ihren Wohnungen, nach der Havarie einer Fernwärmeleitung.  Während sich manche freuten und die Domstufen herunter rodelten oder einen Iglu als Mini-Kindermuseum auf der Krämerbrücke eröffnete, spuckten viele Gift und Galle über den nicht vorhanden Winterdienst. Motto: „Früher war alles besser! Schließlich habe es in der DDR ja einen „Rechtsanspruch auf geräumte Straßen“ gegeben.

 

„Es hat 10 Jahre nicht gebrannt, schaffen wir die Feuerwehr ab“

 

 

„Der Winterdienst war in der Tat der einzige Bereich, der nicht kontingentiert war“, erinnert sich der LINKE Kommunalpolitiker Frank, Kuschel, der zu DDR-Zeiten Bürgermeister von Großbreitenbach und stellvertretender Bürgermeister von Ilmenau war. „Es wurden mit der LPG sehr teure Vorhalteverträge geschlossen. Die standen dann ab Oktober schon Gewehr bei Fuß. Das war stabsmäßig organisiert“. Heute dagegen: „Die Stadt Erfurt hat Technik, die ausgesondert wurde, nicht ersetzt. Das ist so als würde ein Dorfbürgermeister sagen: Es hat 10 Jahre nicht gebrannt, schaffen wir die Feuerwehr ab“, ätzt Kuschel in Richtung des Erfurter Oberbürgermeisters Andreas Bausewein (SPD).

 

Heute ist Winterdienst zum Teil eine marktfähige Leistung.

 

Generell haben Landwirtschaft, oder die Eisenbahn früher mehr Technik für den Winterdienst vorgehalten. Vor allem auch, weil die DDR es sich überhaupt nicht  leisten konnte, tagelang still zu stehen. Der „Katastrophenwinter von 1978/79 hatte gezeigt, dass stillstehende Braunkohletagebaue bzw. Bahnstrecken schnell zum Blackout, zum flächendeckenden Stromausfall führen können. Da half nur gemeinsames Anpacken. Solche Partnerschaften gibt es auch heute noch in Thüringen, aber nicht flächendeckend. 

„Der wesentliche Unterschied ist, dass Winterdienst früher eine Leistung der Daseinsvorsorge war. Heute ist Winterdienst zum Teil eine marktfähige Leistung. Wird die über längere Zeit nicht nachgefragt, werden Kapazitäten abgebaut“, so Kuschels Analyse. 

 

Ein Wirrwarr aus Zuständigkeiten

 

Heute gibt es dafür großes Kompetenzgerangel: „Ein Wirrwarr aus Zuständigkeiten,“ kritisiert Markus Gleichmann, Vorstandsvorsitzender der Thüringengestalter. „Für die Autobahnen sind nur Autobahnmeistereien zuständig. „Das funktioniert relativ gut. Aber für Bundesstraßen sind gemäß eines Abkommens die Kreisstraßenmeistereien da. Bei den Straßenbahnen ist wiederum die Stadt zuständig“, erläutert Gleichmann. „Aus linker Sicht kommt noch ein weiterer Zwiespalt hinzu: Die teure Technik vorhalten oder alle 10 Jahre mal ein paar Tage Chaos in Kauf nehmen“, schätzt Gleichmann ein. Immerhin: Im Saale-Holzland-Kreis, wo Gleichmann, der auch für DIE LINKE im Landtag sitzt, seinen Wahlkreis hat, waren Landwirt- *innen mit ihren Traktoren im Wintereinsatz unterwegs. Das sollten sich die mondänen Städter, die gerne über die Provinz die Nase rümpfen, mal zum Vorbild nehmen!

 

Im Netz haten satt Schnee schippen

 

Wenn sich aber zum Lockdown der „Flockdown“ gesellt, ist der Geduldsfaden vieler Menschen kürzer als die Liste sportlicher Erfolge vom FC Rot-Weiß. In Erfurt wird vor machen Häusern komplett geräumt, anderswo gar nicht. Dafür drohen meterlange Eiszapfen und Dachlawinen. SUV-Fahrer, die ihre Protzkarren zur Abwechslung für Sinnvolles einsetzen könnten, sind nicht im städtischen Winterdienst unterwegs. Sie regen sich lieber in den sozialen Medien auf. 

 

Gelebte Solidarität auf dem Land 

 

Ganz anders das Bild im ländlichen Raum, wo Kommunalpolitiker- *innen den viel zitierten Gebrauchswert Linker Politik unter Beweis stellen können. 

„Wie überall war auch in Gorsleben viel Schnee gefallen. Vielen ging es nicht schnell genug, den Schnee zu beseitigen“, berichtet der Bürgermeister Dietmar Strickrodt (LINKE). „Auf Grund meiner Erfahrung als Ortschaftsbürgermeister und Wehrführer habe ich einen Krisenstab mit Mitgliedern des Ortschaftsrates, Bauhof und ansässigen Firmen gebildet und einen Stufenplan erstellt: 1. Straßen fahrbar machen für Rettungsfahrzeuge sowie Feuerwehrhaus und Bushaltestellen räumen. 2. Platz schaffen für die Müllfahrzeuge. 3. Platz schaffen für Versorgungsfahrzeuge (Bäckerauto und Fleischerauto) 4. Freimachen der Einläufe. Der ländliche Krisenstab im Kyffhäuserkreis hat auch deshalb so gut funktioniert – und offensichtlich besser als in Erfurt oder Jena – weil lokale Unternehmen mit im Boot saßen. An die Agrar GmbH Oldisleben und die vielen anderen Beteiligten sendet Strickrodt deshalb besonderen Dank. Die Firma Etzrodt aus Borxleben sponsert sogar 13 Tonnen Sand für den Hochwasserschutz. Schließlich hat die Schneeschmelze längst begonnen. Das ist gelebte Solidarität. Oder wie es Strickrodt formuliert: „Nur gemeinsam sind wir stark“.            

 

Thomas Holzmann