Skateboards, statt Wildschweine

Land & Leute

Im Kulturdreieck des Erfurter Nordens präsentiert der Verein „proforma“ bis 1. August ein alternatives Kunstfestival, das angestaubte Thüringer Traditionen zum Glitzern bringt. Neue Handwerkskunst als Punk-Antwort auf das Bauhaus: ästhetisch und praktisch.

„Das ist was Geiles, das könnte man auch alternativer aufziehen“

 

Von Sonneberg bis Nordhausen hängt es in vielen Biedermeierzimmern: das Bild vom röhrenden Hirsch. „Die Thüringer Wald-Tradition Wildschweine und Rehe ging mir schon immer ein bisschen gegen den Strich“, spottet Holzbildhauermeister, Robert Kolbe über angestaubte Thüringer Traditionen. Durch Holzbildhauer-Symposien mit internationalen Gästen kam er aber auf den Geschmack: „Das ist was Geiles, das könnte man auch  alternativer aufziehen“. Während seiner Ausbildung lernte er andere Bildhauer kennen, mit denen er zunächst Punk-Konzerte organisierte. Dann kam die Idee: „Lasst uns doch mal was richtig Großes machen!“ 2013 fand auf der Freifläche der alten Berufsschule am Erfurter Wasserturm das erste Erfurter Holzbildhauer-Symposium statt.  Symposium kommt aus dem altgriechischen und bedeutet eigentlich: gemeinsames, geselliges Trinken. Und natürlich werden zur Handwerkskunst damals wie heute auch Kaltgetränke kredenzt. 

 

Vom Symposium zum eingetragenen Verein 

 

Eingebettet war das Ganze anfangs in das fast schon legendäre Kunstrasenfestival, das leider 2016 eingestellt wurde. Auch deshalb wurde aus dem Symposium 2017 der eingetragene Verein „proforma“. Aber nur beim Holzbildhauer-Symposium sollte es nicht bleiben. Aktuelles und äußerst beindruckendes Beispiel: der große Skateboard-Torbogen. „Genau so was habe ich mir gewünscht“, freut sich Robert Kolbe über das Werk der zwei Künstlerinnen Luise und Marianne, dass im AJZ zu bestaunen ist.  

 

Mehr Vielfalt als sich die AfD vorstellen kann

 

Wegen der Corona-Auflagen mussten die Aktiven von der Fläche am Wasserturm ins Kulturdreieck des Erfurter Nordens ausweichen. Mit dem punkigen Alternativen Jugendzentrum, dem linksliberalen Klanggerüst und der Konzert-Location „Frau Korte“ im Nordbahnhof, gibt es hier auf wenigen Metern mehr Vielfalt als sich der durchschnittliche AfD-Nazi überhaupt vorstellen kann.

 

15 Künstlerinnen und Künstlern beim Schaffen beobachten 

 

Noch bis 1. August kann hier 15 Künstlerinnen und Künstlern beim Schaffen über die Schulter geschaut werden, von der jungen Auszubildenden, bis zum erfahrenen Meister. Nur keine Kunst für Biedermeier oder bourgeoise Salons. Ästhetik oder Nutzbarkeit? Erlaubt ist, was gefällt! Fast wie eine Punk-Antwort auf das Bauhaus.  Überall wird gesägt, geschliffen, gemeißelt, gehämmert. 

 

Schön und praktisch 

 

Mit elitären Kunstbegriffen aus dem Elfenbeinturm können die Kreativen nichts anfangen. Friedrich,  gelernter Tischler, erschafft lieber Praktisches. „Wenn ich eine Bank baue und was Schönes reinschnitze, kann ich mich drauf setzen und es ist trotzdem Kunst“. Bei diversen Workshops werden Fahrradständer oder Sitzmöbel aus nicht marktfähigem Holz produziert.  Dieses Upcycling ist nicht nur gut für die Umwelt, sondern auch Kunst an und für sich. Noch ein Beispiel: Eines der ersten Werke, das Friedrich produziert, war ein DJ-Pult, verziert mit Köpfen, ein echter Hingucker.  

 

Dauerausstellung im katholischen Krankenhaus 

 

Etliche Werke, die in den vergangenen Jahren entstanden, sind in einer Dauerausstellung im Katholischen Krankenhaus zu sehen. Auch auf der Thüringen-Ausstellung, wo sonst Käse aus Österreich und Salami aus Italien feil geboten wird, war „proforma“ mit waschechter Thüringer Handwerkskunst präsent. Demnächst plant Robert Kolbe außerdem, einige Werke im Erfurter Zughafen auszustellen.

  

Kunst auf allen Ebenen, nur getanzt werden darf nicht

 

„Ob Graffiti-Künstler oder Steinmetze, künstlerisch soll auf jeder Ebene etwas passieren“. Vor allem Leute aus der Region sollen unterstützt werden. Dazu gehörten auch immer einige lokale Bands, aber dieses Jahr gibt es wegen Corona nur Musik aus der Konserve und getanzt werden darf nicht. Das ist nicht schön, aber nachvollziehbar. Zumal die Verwaltung bisher, man höre und staune, keine Steine in den Weg gelegt hat. „Bei uns gibt es nichts zu nölen“, ist sich Robert Kolbe sicher. Blöd nur, dass dieses Jahr wegen Corona die Fördermittel eingefroren wurden.  Aber wer bei „proforma“ Kunst kreiert, tut das nicht wegen des Geldes. Ein Künstler  erzählt, sogar er habe bei seiner Firma aufgehört, weil er keinen Bock mehr hatte, zu schuften, damit sich ein Chef einen noch dickeren Audi leisten kann. Solche Gespräche gibt es nicht in Kunstgalerien.   

 

Thomas Holzmann