Mittendrin, statt nur dabei

Obwohl die Olympiasieger*innen beim Wintersport in Thüringen an Bäumen wachsen, fristet Eishockey ein Nischendasein.

Dabei wird bei den Black Dragons Erfurt nicht nur auf dem Eis Spektakel geboten, auch auf den Zuschauerrängen, lässt sich Erstaunliches beobachten.

 

 

In Deutschland ist Fußball mit Abstand die Sportart Nummer 1. Auch in Thüringen berichten die Medien am meisten über den FC Carl Zeiss Jena und den FC Rot-Weiß Erfurt. Dabei gibt es zahlreiche andere Teamsportarten, die richtig was zu bieten haben. Vor allem bei den Frauen ist Thüringen Spitze: Bei den Handballerinnen des THC Bad Langensalza oder den Volleyballerinnen des VfL Suhl wird in der 1. Liga um Titel mitgespielt. Aber muss es immer der ganz große Erfolg sein? Geht es beim Sport nicht um mehr als nur ums Gewinnen?

 

Eine Sportart, die rasante Action, Spektakel und äußerst harten, aber ehrlichen Kampf bietet, ist Eishockey. Allerdings wird derzeit neben Erfurt nur noch in Ilmenau und Waltershausen regelmäßig im Ligabetrieb gespielt. Nach der Insolvenz des ESC Erfurt spielen die Black Dragons seit 2005 wieder in der Oberliga. Da warten gewaltige Kaliber wie Hamburg, Herne und Hannover. Noch besser: Mit den Tilburg Trappers mischt ein Team aus Holland mit und sorgt für Europapokal-Stimmung. 

 

Wer in die „Kartoffelhalle“ geht und sich unter die Tribüne stellt, sollte lieber Gehörschutz einpacken. Die 400 Fans, darunter rund drei Dutzend aus Holland, machen mit ihren Trommeln einen markerschütternden Lärm wie eine ganze Artillerie-Batterie beim Gefechtsschießen. 

 

Beide Fanlager feiern im selben Block

 

Sind die Fans beim Fußball oft so weit weg, dass man ein Opernglas bräuchte, um von den billigen Plätzen noch was zu erkennen, stehen die Zuschauer hier direkt am Spielfeldrand, nur durch eine Plexiglasscheibe von der Action auf dem Eis getrennt. Sein Bier dort auf den dünnen Rand zu stellen, ist keine gute Idee, denn früher oder später rauschen zwei oder mehrere Spieler mit vollem Karacho in die Bande.

Aber eine gesunde Härte gehört zum Eishockey einfach dazu. Umso schöner ist es, dass negative Begleiterscheinungen wie sie beim Fußball häufiger vorkommen, hier kein Thema sind. Fan-Trennung ist nicht nötig. Trappers- und Dragons-Fans stehen im selben Block und feuern gemeinsam ihre Teams an. Danach gehen sie noch zusammen einen trinken. Beim Fußball, wenn Deutschland gegen Holland spielt, wäre das schlichtweg undenkbar.

 

Was bei den Dragons sonst noch so abgeht, wollte UNZ vom Vereinspräsidenten Martin Deutschmann genauer wissen. Der Geschäftsführer der HKL Ingenieurgesellschaft, die auch Hauptsponsor der Dragons ist, lädt uns gleich auf ein Bier in die kleine, aber feine VIP-Lounge ein.

 

„Wir können nicht nur Gewinne machen, wir müssen als Erfurter auch der Region etwas zurückgeben.“

 

Fragen stellen ist gar nicht nötig, denn Deutschmann legt los: „Es gibt Unternehmen, die hier keine Steuern zahlen und die wir deshalb alle nicht leiden können. Wir mit unserem Ingenieurbüro, mit 30 Leuten, sind der Meinung: Wir können nicht nur Gewinne machen, wir müssen als Erfurter auch der Region etwas zurückgeben. Andere fördern Kunst oder Musik und mein Ding ist eben Eishockey, um die Lebensqualität der Stadt zu verbessern“, sagt Deutschmann, dessen Söhne für Dragons-Junioren die Schlittschuhe schnüren.

Nachwuchsarbeit und das Vermitteln von Werten wie Fairplay, Teamgeist aber auch Hartnäckigkeit und bei Schwierigkeiten nicht aufzugeben, werden ihm bei den Dragons vermittelt. Diese Jugendarbeit unterscheidet sie auch von anderen Teams: „Wir haben in unserer Liga Gegner, die nur auf den Profisport gucken. Denen ist egal, ob ein Nachwuchsspieler ausgebildet wird.“ Erfurt versucht, solide zu wirtschaften, um nicht nur für den Profi-Bereich, sondern auch den Nachwuchs Stabilität und Verlässlichkeit zu schaffen. 

 

„Ich kann mir acht eingedeutschte Kanadier holen oder ich leiste soziale Arbeit mit Erfurter Kindern“

 

„Mehr als ein Mittelfeldplatz ist kaum drin, denn Hamburg, Hannover oder Halle haben ganz andere Möglichkeiten. Das sind Profivereine mit großen Stadien in wirtschaftlich besser aufgestellten Regionen. Wir dagegen können nicht so viel Geld investieren, um viele Spieler zu verpflichten. Wir sind da, um die Großen zu ärgern. Und wir arbeiten mit 150 Kindern im Nachwuchs von der U20 in der Deutschen Nachwuchsliga bis zu den U-7-Junioren, von denen es immer wieder welche zu den Profis schaffen. Dazu kommen einige aus dem direkten Umland, wie Ilmenau oder Arnstadt, und wir haben eine enge Kooperation mit den Eislöwen Dresden und der Erfurter Sportschule“, so Deutschmanns Vereinsphilosophie. Letzte Saison schafften es die Dragons sogar in die Playoffs – ein beachtlicher Erfolg. Auch, wenn Deutschmann es diplomatisch ausdrückt, aber es nervt ihn, wenn die öffentliche Berichterstattung“ immer so tut, als wären die Dragons „nicht erfolgreich“. „Die Frage ist, wie wir Erfolg definieren. Ich kann mir acht eingedeutschte Kanadier holen und oben mitspielen. Oder ich leiste soziale Arbeit mit Erfurter Kindern, die was fürs Leben lernen und werde Achter. Unsere Fans wissen das zu würdigen, so lange wir einen guten Fight liefern. Wir sind stolz, dass wir in der Oberliga Nord, mit Clubs wie Tilburg, mit einer 3.000-Zuschauer-Arena, überhaupt mitspielen können. Und gelegentlich schlagen wir sie auch mal“.

 

Party auch auf den Rängen auch, wenn es 0:5 steht 

 

Beim Spiel am 6. November waren die Dragons jedoch chancenlos: 0:5 stand es nach dem zweiten Drittel. Beim Fußball würden die Fans buhen, pfeifen oder gleich den Heimweg antreten. Bei den Dragons wird trotzdem weiter Party auf den Rängen gemacht und die Mannschaft belohnt die Fans in Form von Ergebniskosmetik: Endstand 2:5. Gekämpft wird bis zum Schluss verbissen, und so kommt es Sekunden vor Spielende noch zu einer kleinen Handgreiflichkeit auf dem Eis. Aber Eishockey ist kein Hallenhalma und ein bisschen Krawall gehört dazu. Als beide nur 17 Stunden später erneut aufeinander trafen war es übrigens deutlich knapper: Favorit Tilburg siegte gerade so mit 3:2.

Wohin geht die Reise für die Dragons? Während Fünftligist Rot-Weiß ein tolles neues Stadion hat, zieht sich die „Hallenposse“ seit Ewigkeiten hin. „Jeder Bürgermeister hat uns eine Halle versprochen, auch Andreas Bausewein. Dabei wäre eine neue Tribüne bautechnisch viel schlauer.  Der Neubau würde bis zu 25 Millionen kosten, die Sanierung nur 11. Dafür gebe es auch Fördermittel vom Bund“, fasst Deutschmann zusammen. Blöd nur: Der Förderantrag wurde wenige Tage zu spät abgegeben. Jetzt hoffen viele auf Bodo Ramelow und die Haushaltsverhandlungen im Landtag – Ausgang offen. 

Wer sich für den „Glamour der Profis“ trotz allem nicht begeistern kann, sollte wissen, dass die Kinder Bock auf Eishockey haben, weil sie den Profis nacheifern wollen. Ohne die Dragons würden junge Spieler, sobald sie geradeaus Schlittschuhlaufen können, nach Dresden oder Berlin verschwinden. Und dass kann sich Thüringen nun wirklich nicht leisten.                 

 

Thomas Holzmann