Bier ist der bessere Wein

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Warum haben Biere wie Hasseröder früher viel besser geschmeckt? Was unterscheidet Craft-Biere von Industriebieren? UNZ besuchte Braumeister Jan Schlennstedt in der Manufraktur Heimathafen.

 

Auch beim Bier bleibt nichts ewig

 

Immerhin rund 40 Brauereien gibt es in Thüringen. Die bekannteste, deren Schwarzbier sogar die Queen of England gerne bechert, dürfte die in Bad Köstritz sein. Köstritzer gehört allerdings der Bitburger Holding, der drittgrößten Brauereigruppe Deutschlands, die auch mit Werkzeugen oder Öl Profit scheffelt. Da sind die vielen kleinen traditionellen Brauereien schon sympathischer. Aber auch beim Bier bleibt nichts ewig. Junge Braumeister wie Jan Schlennstedt haben eigene Vorstellungen. Wir trafen ihn in seiner Manufaktur im Erfurter Zughafen. 

 

Industrie- oder Craftbier? 

 

Heimathafen hatte der gebürtige Erfurter sie auch deshalb genannt, weil er sich 2014 bewusst entschied, nach über zehn Jahren in Hessen wieder in die Heimat zurückzukehren. UNZ sprach mit ihm über den Unterschied zwischen Industrie- und Craft-Bieren, die Panschereien der Großkonzerne und natürlich über die Corona-Krise.

„Ich mag Großkonzerne nicht, weil die manches kaputt machen“, sagt Schlennstedt, auch wenn man nicht alle über einen Kamm scheren darf. Negativ-Beispiel: Die Dr.Oetker-Gruppe, zu der u.a. auch die Radeberger-Gruppe gehört. „Viele wissen gar nicht, dass Dr. Oetker auch mit Rüstung Gewinn macht“, klärt Schlennstedt auf. 

 

Konzerne wollen aus dem Produkt Bier das Maximale rausholen

 

Wie das in Konzernen abläuft hat er in seiner Ausbildungszeit mit eigenen Augen gesehen. Schon mit 16 ging Jan Schlennstedt zur Brauer-Ausbildung nach Hannover, zunächst in eine mittelständische Privatbrauerei. „Wir wurden dann von Interbrew, damals der weltgrößte Bierkonzern, (heute Anheuser-Busch InBev) aufgekauft. Da hat sich meine Abneigung entwickelt.“ Kein Wunder bei dem Standardprogramm: Leute rauswerfen und überall auf Teufel komm raus Kosten einsparen, damit die Gewinne sprudeln. „Die versuchen aus dem Produkt Bier das maximale herauszuholen“. Beliebtes Verfahren um die Jahrtausendwende: „High-Gravity-Brauen“. Da wird z.B. bei alten Pils-Rezepten die doppelte Menge an Hopfen und Gerste genommen. Weil das Bier dann aber einen doppelt so hohen Alkoholgehalt hat, wird einfach mit Wasser verdünnt. Das spart hunderttausende Euro bei Lager- und Energiekosten. Vor allem in Nordthüringen wird bei Bierkenner*innen ein Glöckchen klingeln. Das Hasseröder Pils (Ab-Inbev-Gruppe) aus Wernigerode war in den 90er Jahren in der Region Südharz-Kyffhäuser ein beliebtes Bier. „Die waren die ersten, die das High-Gravity-Brauen voll durchgezogen haben. Das hat sich dann in den Absatzzahlen negativ niedergeschlagen. Schlimmer noch: Statt in die Brauerei zu investieren, wurden Geld ins Sponsoring bei Fußball und Motorsport gestopft. 

 

Kaum neue Brauereien in Thüringen 

 

Gegen solch geballte Marktmacht haben es kleine Brauereien natürlich nicht leicht. Aber: „Wir sind da schon ein bisschen vernetzt. Leider ist Thüringen das einzige Bundesland, wo es bei den Neugründungen von Brauereien nicht so richtig vorwärts geht“, klagt Schlennstedt Immerhin: In Dünwald, einem kleinen Dorf im Eichsfeld, gibt es seit 2010 die Braumanufaktur  Michels. Schlennstedt kennt den Brauer schon seit seiner Ausbildungszeit. Auch in der Papiermühle bei Jena konnte sich eine neue Brauerei etablieren. 

 

Craft bedeutet nichts anderes als Handwerk

 

Und was unterscheidet nun das Craft-Bier, dass Berliner Hipster gerne in der Arschtasche spazieren führen, vom Industriebier der Großkonzerne? „Eigentlich ist jede fränkische Brauerei eine Craft-Bier-Brauerei –  und das seit Jahrhunderten. Craft bedeutet nichts anderes als Handwerk. Der Begriff wird inflationär benutzt. Ich mag den nicht besonders.“ Schlennstedt erinnert sich an eine Situation bei der „Genusspromenade“ im Erfurter Kaisersaal: „Eine Frau fauchte an unseren Stand: macht ihr etwa auch dieses Craft-Bier, das so komisch schmeckt? ...“ Das Problem: „Wer im Supermarkt ohne Beratung aus dem Riesenregal ein Bier mit sehr viel Hopfen und hohem Alkoholgehalt nimmt, wird darauf überhaupt nicht klarkommen. Und für die ist dann Craft-Bier gleich Mist“, klärt Schlennstedt auf. Er selbst benutzt deshalb lieber den Begriff Braumanufaktur. 

 

Biersommelier? „Das geht mir zu weit“

 

Und wann kommt der nächste Schritt zum Biersommelier mit Blindprobe, Käsehäppchen und spucken, statt schlucken? „Das geht mir zu weit. Wenn bei einer Verkostung die Leute Maracuja, Himbeere und alles mögliche rausschmecken, finde ich das eher lächerlich. Aber: Bier ist eigentlich der bessere Wein. Beim Wein gibt es im Prinzip nur Rot, Weiß und Rosé. Aber beim Bier gibt es Leichtbier, Vollbier, Helles, Pils, Dunkles, Starkbier und vieles mehr, was unter dem Reinheitsgebot gebraut werden darf.“

 

Reinheitsgebot war nur eine Marketingerfindung

 

Traditionalisten sehen das aber ganz anders und verteufeln die neuen Biersorten regelrecht. „Das ist doch ein Witz. Es gibt gar kein Reinheitsgebot an sich, sondern nur das vorläufige Biergesetz von 1993. Darin steht, was man brauen darf, damit man es Bier nennen darf. Das mit dem Reinheitsgebot war eine Marketingerfindung aus dem 19. Jahrhundert“, erklärt Schlennstedt und zerstört ganz nebenbei noch den Mythos von Deutschland als Bierland Nummer 1 auf der Welt. Vorsicht Traditionalisten und gut die Tulpe festhalten, denn: „Schon vor 20 Jahren haben uns die Amerikaner mit geilen Bieren überholt.“ 

 

Kneipen zu: da ging der „Arsch auf Grundeis“ 

 

Das ist aber kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Auch nicht in der Corona-Krise, wo durch die geschlossenen Kneipen zwei Drittel des Absatzes im Heimathafen weggebrochen sind. „Da ging uns der Arsch auf Grundeis, zumal die Leute auch im Einzelhandel lieber massenhaft Klopapier, statt teures Bier gekauft haben. Aber mit den staatlichen Corona-Hilfen kommen wir erstmal einigermaßen über die Runden“. Und von Schwierigkeiten hat sich Jan Schlennstedt noch nie klein kriegen lassen, auch nicht als die Banken ihm am Anfang keine Kredite geben wollten. Und eines dürfte auch nach Corona gelten: Bier wird immer getrunken.

 

Thomas Holzmann