Wir mussten ums Überleben kämpfen
„Wir stehen nicht alleine da und die Rassisten sind hier nicht in der Mehrheit. Das macht ein positives Gefühl“, sagt Rahmatullah Batoor, der 2016 aus Afghanistan nach Deutschland kam. Doch auch ihnen machen die aktuellen Bilder wütenden, denn die dunkle Zeit beginnt jetzt von neuem.
Horrorbilder wie aus einem Kriegsfilm, Menschen die sich verzweifelt an ein startendes Flugzeug klammern und anderes schier Unfassbare ist nach dem Abzug der NATO-Truppen aus Afghanistan zu sehen. Nun selbstgerecht zu sagen: Wir haben es ja immer gewusst, dass die 20 Jahre Krieg völlig sinnlos waren, hilft aber weder den Menschen vor Ort, noch jenen, die in Thüringen erst Mal einen „sicheren Hafen“ gefunden haben. Wie geht es Menschen, die beide Seite kennen?
UNZ trafen einen Thüringer aus Afghanistan zum Gespräch. Aus Angst um seine Familie am Hindukusch, die zur Minderheit der Harzara gehört, wollte Rahmatullah Batoor
aber zunächst lieber unerkannt bleiben. Tage nach dem Interview könnte er immerhin einen Teil seiner Familie vor dem Terror der Taliban in Sicherheit bringen.
Seine Geschichte in Deutschland beginnt 2016. Über ein DAAD-Stipendium kam er nach Erfurt und studierte an der Willy Brandt School of Public Policy mit Schwerpunkt Konfliktforschung- und Management. Seit dem Abschluss 2019 ist er als Referent in einem Landesministerium beschäftigt. Dazu gesellt sich viel Ehrenamt: beim Migranten Omind Verein (MOVE e.V.) und im Thüringer Flüchtlingsrat. Seine Vision: Integration als „Zweibahnstraße“. Das heißt, nicht nur allein die Integration zu erleichtern, sondern auch die Einheimischen informieren und aufklären. Sein Ideal: Ein Thüringen für alle, wo Herkunft, Religion oder Hautfarbe keine Rolle mehr spielen.
1997 wurde sein Heimatdorf von den Taliban erobert. Insgesamt viermal musste seine Familie fliehen. 40 Tage versteckten sie sich in einem über 3000-Meter hohen Gebirge. Als sie sich in ihr Dorf zurück trauten, standen nur noch die Wände ihres Zuhauses. Und das alles nur, weil sie zur ethischen Gruppe der Hazara gehören, die massive von den Taliban unterdrückt und diskriminiert werden.
Er musste schon als Kind mit 8 Jahren arbeiten: von 5 Uhr morgens bis 8 Uhr abends Teppiche knüpfen. „Es gab keine andere Wahl, wir mussten ums überleben kämpfen“. Die aktuellen Bilder machen ihn wütend, denn die dunkle Zeit beginnt von neuem: „Es ist Ein Albtraum“.
Wie ist ihre ganz persönliche Sicht auf die letzten 20 Jahre?
Für mich persönlich hat die Intervention viel Gutes gebracht, auch für viele andere von den Taliban Unterdrückten. Eine ganze Generation hat davon profitiert. Ohne Militär wäre das nicht möglich gewesen, denn die Taliban kann man nicht bitten. Nach 20 Jahren, werden jetzt diese Generation und die kommenden sowie die ethnischen Minderheiten wie Hazaras wieder schutzlos den radikalen Islamisten geliefert.
Kann man mit den Taliban überhaupt verhandeln? Oder wird nun alles, was seit 2001 aufgebaut wurde, komplett ausradiert?
Das weiß niemand, außer vielleicht der Taliban selbst. Ich glaube nicht, dass sie verhandeln wollen. Die sind so militant und ideologisch verbohrt und kennen nur ihr eigenes Weltbild. Wer sich dem nicht anpasst, wird als Feind betrachtet und bestraft. Sie haben in den letzten Wochen behauptet, dass sie Frieden wollen und das Gegenteil getan. Das zeigt, dass sich die Taliban nicht geändert haben. Spontane Entscheidungen über Leben von Menschen per Straßengericht sind an der Tagesordnung. Sie kennen auch nur dieses Leben, diese Ideologie. Wo soll da ein Verständnis für Freiheit und Rechtsstaat herkommen?
Was macht Angesichts der dramatischen Bilder trotzdem Hoffnung? Wird die Welt jetzt aufgerüttelt.
Schlimme Bilder gab es auch früher schon. Das hat den Rest der Welt auch nicht besonders interessiert. Eine Hoffnung wäre, dass sie die Taliban doch irgendwie ändern. Dazu müsste die Internationale Gemeinschaft aber ganz klar sagen, dass es massive Konsequenzen haben wird, wenn sie ihr Verhalten nicht ändern. Ohne Druck von außen, ohne Sanktionen wird da nichts passieren. Denn ohne internationale Unterstützung und Anerkennung wären die Taliban nicht so mächtig.
Das würde aber auch bedeuten, den reichen „Golf-Staaten“ auf die Finger zu klopfen. Stattdessen findet in Katar nächstes Jahr die Fußball-WM statt ...
Die Taliban kommen aus dem afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet. Dort gibt es tausende Orte, wo sie trainiert werden. Der pakistanische Geheimdienst unterstützt die Taliban seit den 90er Jahren. Die Geschichte ist sehr lang und wir wollen nicht vergessen, das Osama Bin Laden mal mit den USA zusammen in Afghanistan gegen die Sowjetunion gekämpft hat.
Wie viele Menschen sind aktuell in Gefahr von den Taliban gefoltert oder getötet zu werden?
Die NATO war in den letzten Jahren der mit Abstand größte Arbeitgeber. Das betrifft entsprechend viele Menschen. Aber auch alle, die für die Regierung oder internationale Organisationen gearbeitet haben. Unser größtes Problem war, dass alles plötzlich so schnell ging. Die Leute hatten keine Pässe, Visum oder Fluchtmöglichkeiten und konnten deshalb nicht fliegen, obwohl sie hoch gefährdet sind. Alle Fluchtwege übers Land in die Nachbarländer sind geschlossen. Andere haben zwar Dokumente, müssen sie aber verstecken. Denn, wenn die Papiere den Taliban in die Hände fallen, wissen die gleich, dass sie den Feind vor sich haben.
Wie stehen die Chancen, dass sie ihre eigene Familie nach Deutschland holen können?
Bis jetzt habe ich noch keine Möglichkeit gefunden. Sie haben nicht mit der Bundeswehr gearbeitet, sind aber trotzdem stark gefährdet. Eine Schwester hat in Indien studiert – ein Feind der Taliban. Das andere über ein EU-Stipendium in Kaschten. Sie waren auch aktiv für die Rechte von Frauen und Minderheiten. Unter den Taliban dürfen sie nun nicht mal allein zum Einkaufen gehen. Wir alle haben uns in den letzten Jahren in eine oder andere Art für demokratische Werte, Bildung und Gleichheit eingesetzt. Das ist natürlich gegen das Weltbild der Taliban. Wir sind die erste Generation in die Geschichte die als Hazaras in den letzten zwei Jahrzenten eine relative Freiheit hatten, dank die internationale Gemeinschaft. Meine größte Angst ist, dass es ab jetzt vorbei ist. Die Taliban sind da nicht berechenbar, von Schlägen bis Töten ist dann alles möglich.
Das war in den von der Taliban kontrollierten auch vorher schon so. Trotzdem freute sich Innenminister Horst Seehofer (CSU) über jede Abschiebung nach Afghanistan. Was würden sie Leuten wie ihm gerne sagen?
Solche Aussagen sind einerseits lächerlich, andererseits sehr schmerzhaft. Manche Leute leben nur in ihrer eigenen Welt. Sie vergessen, dass sie und ihre Vorgänger Schuld an der Katastrophe sind. Afghanistan ist seit 200 Jahren ein Spielplatz für die Mächtigen. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie ich mich da fühle. Leider verkauft sich das sehr gut, siehe Herr Höcke und die AfD.
Aber auch in Thüringen gibt es viele Leute, die sich kümmern und zeigen, wie es gehen kann. Haben die Menschen die für die Bundeswehr gearbeitet haben jetzt wenigstens beste Chancen über den Arbeitsmarkt zu einer dauerhaften Bleibeperspektive zu kommen?
Was ich an Thüringen liebe, ist das große Netzwerk von engagierten Menschen. Wir stehen nicht alleine da und die Rassisten sind hier nicht in der Mehrheit. Das macht ein positives Gefühl. Es gibt so viele Leute, die alles geben, um andere zu unterstützen. Ich hoffe, dass die neuen Bewegungen noch größer werden und noch mehr junge Menschen dazu kommen. Zum Arbeitsmarkt: Bis jetzt sind viele gut in Beschäftigung gekommen. Ich kenne nicht viele, die nicht arbeiten. Thüringen braucht ja dringend diese Arbeitskräfte. Und es sind auch Menschen die langfristig hier bleiben wollen.
Thomas Holzmann