Sachliche Debatte um Zukunftsfragen über Parteigrenzen hinweg

Der Thüringer Minister für Wirtschaft, Arbeit und Technologie, Matthias Machnig (SPD) will lieber über konkrete Politikinhalte statt über ideologische Fragen sprechen. Rückwärts gewandte Debatten über die Moral der Geschichte interessieren ihn weniger.

Die SPD hatte im letzen Landtagswahlkampf die klare Aussage: Neue Kraft für Thüringen oder weiter Stillstand mit der CDU? Jetzt regiert man aber seit fast einem Jahr zusammen mit der CDU. Ist der Politikwechsel ausgefallen? 

 

Es gibt auf vielen Feldern einen Politikwechsel in Thüringen. Das lässt sich beispielsweise im Bereich der Bildungspolitik, im Bereich der Kitas, beim Landesarbeitsmarktprogramm oder dem GreenTech-Programm fest machen. Das sind alles neue Dinge, die wesentlich von den sozialdemokratischen Ressorts vorangetrieben werden. Der generelle Vorwurf, der Politikwechsel sei nicht aufgefallen, geht an der Sache vorbei. Ich glaube, die Opposition ist eher erstaunt, was selbst in dieser Koalition alles möglich ist.    

Aber gerade im Bereich Bildungspolitik sind die Fortschritte doch nur minimal ... 

Das stimmt nicht. Es gibt eine neue Gesetzgebung für die Gemeinschaftsschule. Natürlich gibt es in jeder Koalition Debatten über die Ausgestaltung, aber die Grundlinie, dass die Gemeinschaftsschule kommt, ist da. Gleiches gilt beim Kita-Gesetz. Oder schauen Sie sich das Wirtschaftsministerium an. Viele Dinge, die jetzt angeschoben werden, sind vorher nicht einmal debattiert worden. Ich werbe dafür, die Dinge differenziert zu betrachten. Dass die Opposition Kritik übt, verstehe ich, schließlich ist das ihre Aufgabe. Aber man muss in der Substanz argumentieren und nicht immer nur nach der politischen Farbenlehre. Das ist wie beim Fußball: Wichtig ist auf´m Platz. Für die Politik heißt das, entscheidend ist, welches Ergebnis am Ende raus kommt. Ein konkretes Ergebnis für Thüringen könnte die Energiewende sein.

Da tritt die CDU meistens auf die Bremse. Wäre in einer rot-rot-grünen Konstellation hierbei nicht viel mehr möglich gewesen? 

Ich rede nicht nur über die Energiewende, ich treibe sie voran. Ich nehme für mich in Anspruch, und ich glaube, das kann auch jeder sehen, dass ich für die Sache eintrete. Das heißt: Ausbau der Windenergie, Ausbau von Photovoltaik, Erhalt des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und Umstellung von Förderprogrammen auf mehr Energieeffizienz. Das setze ich auch in dieser Koalition um und durch. Ob das in anderen Koalitionen besser geht, darüber kann man nur spekulieren. Schauen Sie doch nach Berlin. Da gab es eine Traumhochzeit Merkel-Westerwelle, die schon nach ganz kurzer Zeit eine kaputte Ehe war. Deswegen sind für mich nicht abstrakte Debatten über Koalitionen und Farbkonstellationen entscheidend, sondern immer das konkrete Ergebnis. Schwarz-Gelb in Berlin zeigt doch, dass die scheinbar ideale Farbkonstellation in eine Politikunfähigkeit führen kann.

Eine essentielle Zukunftsfrage ist doch der schnellstmögliche Abzug aus Afghanistan. Wird sich die SPD da bewegen? 

Parteien müssen ihre Positionen in der Sache definieren und nicht nach der Frage des Verhältnisses zu einer anderen Partei. Die Position der SPD in der Afghanistanfrage ist doch völlig klar: Wir fordern eine Abzugsperspektive bis Mitte diese Jahrzehnts. Die SPD braucht niemanden, der ihr Hinweise gibt. Wenn das Verhältnis von Parteien dadurch bestimmt wird, dass die eine die andere belehren will, dann stimmt das Verhältnis nicht. Ich erkenne an, es gibt in Deutschland ein Fünf-Parteien-System. Die Aufgabe der Parteien ist es, politikfähig zu sein. Das funktioniert nur, wenn die Parteien ihre Positionen genau definieren und Schnittmengen identifizieren. Ich habe schon viele Koalitionen mitgemacht und festgestellt, dass der Umgang miteinander, die Vertrauensbasis und die Bereitschaft, unter den gegeben Rahmenbedingungen das zu tun, was möglich ist, entscheidend ist für den Erfolg einer Koalition. Das ist im Übrigen viel wichtiger als jedes Wahlprogramm.    Vertrauen und der Verzicht auf ständige Polemik ist also die Vorraussetzung für eine erfolgreiche Koalition? Das ist eine Vorraussetzung. Wichtig ist, politikfähig zu sein. Jeder muss wissen, dass es in jeder Koalition nur mit Kompromissen geht und nie eine Partei ihr Wahlprogramm zu einhundert Prozent durchsetzen kann. Die Art und Weise, wie diese Kompromisse zu Stande kommen, sind für die Koalitionsfähigkeit, und zwar von jeder Koalition, von entscheidender Bedeutung. 

Aber ist das Problem nicht, dass sowohl die SPD, wenn es um das Thema DDR-Geschichte geht, als auch DIE LINKE, wenn es um die Agenda 2010 geht, sich nicht richtig bewegen und deswegen noch nicht koalitionsunfähig sind?

Das sind doch rückwärts gewandte Debatten. Für mich sind die Zukunftsfragen wichtig, vor denen Deutschland steht. Was ist die Antwort auf die große ökonomische Krise? Wie finanzieren wir in den nächsten Jahren die Kosten der Krise? Wie schaffen wir wieder Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt? Wie investieren wir in die ökologische Erneuerung? Das sind für mich die Fragen, die im Vordergrund stehen müssen. Dazu muss es eine sachliche Debatte über alle Parteigrenzen hinweg geben. Es gab vor kurzem eine Umfrage vom Emnid, nach der neun von zehn Menschen Zweifel an unserem Wirtschaftssystem haben – aus welchen Gründen auch immer. Darauf müssen wir Antworten geben. Historische Betrachtungen interessieren da eher weniger. Die Menschen wollen viel mehr wissen, welche Antworten die Parteien auf die Zukunftsfragen haben. Dazu brauchen wir auch einen gesellschaftlichen Diskurs, aus dem sich dann bestimmte Dinge entwickeln können.

Sowohl die SPD als auch die DIE LINKE hat in ihrem Parteiprogramm als Zukunftsvision den demokratischen Sozialismus stehen. Wie würden sie diesen Begriff definieren? 


Mich interessieren Ismen nicht. Mich interessiert Politik. Ich weiß, in der Politik spielen Begriffe eine wichtige Rolle. Viel wichtiger ist doch aber, welche Arbeitsmarktpolitik wir machen, welche Bildungspolitik, welche Haushalts- und Energiepolitik. Das sind für mich die entscheidenden Fragen. Debatten über Ismen gehören zu den Stammesritualen von Parteien. Stammesrituale sind aber meist nur für Stämme wichtig und weniger für den Wähler. Deswegen muss die Konzentration auf die Sachfragen im Zentrum stehen und keine ideologischen Debatten. Der Wähler glaubt nicht an die Ismen, der Wähler will von den Parteien Antworten auf die Herausforderungen von Morgen und Übermorgen und dann entscheidet er, ob er den Parteien zutraut, diese Antworten auch wirklich umzusetzen. Bleiben wir bei den Sachfragen. Es sieht so aus, dass die SPD vom Kurs der Agenda 2010 abrückt, Beispiel Rente mit 67. Wird die SPD auch in anderen Sachfragen weiter nach links rücken? Eine Partei muss immer Rechenschaft über ihre eigene Politik ablegen und auch Selbstaufklärung betreiben. Wenn man feststellt, dass Dinge, die beschlossenen wurden, keinen wirklichen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beigetragen haben, dann gilt es sie zu korrigieren. Das ist Politik der Selbstaufklärung. Genau das tut die SPD bei der Rente mit 67. Im Gesetz gibt es bewusst eine Überprüfungsklausel. Da es heute bei den 60- bis 64-Jährigen erst eine Beschäftigungsquote von 21 Prozent gibt, muss die Antwort drauf lauten, dass wir erst wieder über die Rente mit 67 sprechen, wenn tatsächlich eine Beschäftigungsperspektive für Ältere sicher gestellt ist. Wir machen das ja nicht einfach so, sondern wir haben ein Demographie-Problem, auf das wir eine Antwort geben müssen, um die Renten künftig finanzieren zu können. 

Rot-Grün hat den Spitzensteuersatz auf 42 Prozent, jetzt will die SPD ihn auf 49 Prozent anheben. Das ist doch eine eindeutige Abkehr von Schröders Politik

Was vor zehn Jahren falsch war, kann heute richtig sein, und was vor zehn Jahren richtig war, kann heute falsch sein. Die Vorstellung, man kann Politik für die Ewigkeit machen ist falsch. Bei der Steuerreform von 2001 hatten wir eine völlig andere ökonomische Gesamtsituation, kurz nach der Krise der New Economy. Damals brauchte Deutschland Wachstumsimpulse. Dann hatten wir einige Jahre eine positive ökonomische Entwicklung und standen kurz vor einer Netto-Null-Verschuldung. Heute stellt sich die Frage, wie die Kosten der Krise von 2007 finanziert werden. Und da gilt der sozialdemokratische Grundsatz: Starke Schultern müssen mehr tragen als Schwache. Die, die Verantwortung für die jetzige Krise haben, müssen auch stärker herangezogen werden.


Thomas Holzmann