Mobilität völlig neu denken

Interview

Birgit Keller, Thüringens LINKE Verkehrsministerin will nicht nur Bahnstrecken reaktivieren, sondern Bus und Bahn günstiger als den Individualverkehr machen und alle Verkehrsmittel vom Fuß und Fahrrad über den Bus bis zur Eisenbahn zusammen denken.

Mobilität und die Verkehrswende sind derzeit in aller Munde. Die Grünen plakatieren sogar: für zwei Euro (am Tag) durch Thüringen. Was halten Sie davon, ist das realistisch?

 

Fakt ist, dass wir tatsächlich radikale Überlegungen brauchen, wie wir künftig  Verkehr gestalten. Sowohl in den Innenstädten als auch, was die Emissionen betreffen. Das heißt, wir müssen Mobilität völlig neu denken. Das ist auch eine Kostenfrage. Der Vorschlag für zwei Euro durch Thüringen fahren zu können, muss gegenfinanziert und kalkuliert werden. Dafür müssen von der Politik Prioritäten gesetzt werden. Beim Azubiticket machen wir das in Thüringen.  Weil Thüringen dieses Ticket mit 100 Euro subventioniert, kostet es die Azubis nur 50 statt 150 Euro. Nur der Landkreis Greiz weigert sich, das Ticket anzuerkennen. Dabei muss immer klar sein, das sind die Kosten, die vom Steuerzahler finanziert werden müssen. Deshalb fordern wir schon seit Beginn, dass sich auch die Wirtschaft beteiligen muss.

 

Gibt es auch Kalkulationen für einen kostenlosen ÖPNV in den Innenstädten, zumindest für Jugendliche und Kinder unter 18 Jahren?

 

Der Schülerverkehr ist ja schon fast vollständig subventioniert. ÖPNV wäre ohne Subventionen für den Endverbraucher  kaum bezahlbar. In unserem Haushalt hatten wir 2018 noch 92 Millionen Euro für Busse und Straßenbahnen eingestellt. 2019 liegen wir bereits bei 114 Millionen Euro. Wenn wir den ÖPNV tatsächlich kostenfrei machen wollten, müssten zusätzlich zu den Zuschüssen der Kommunen  auch noch die Einnahmen durch die Fahrscheinverkäufe gegenfinanziert werden. Das sind allein über 122 Millionen Euro pro Jahr. Und da ist der Schienennahverkehr noch nicht mit inbegriffen. Ich bin sehr für kostenlosen ÖPNV, aber die Frage ist immer: Wer bezahlt es?

 

Im Kontext aktueller Debatten um die SUV hört man immer wieder den Vorschlag City Maut. Wäre das eine Option, um Verkehrswende und kostenlosen ÖPNV zu finanzieren?

 

Über solche Insellösungen denke ich weniger nach. Verkehr, sowohl in der Stadt als auch im ländlichen Raum, ist gegenwärtig und zukünftig eine der größten Herausforderungen. Im Mobilitätsverhalten der Menschen wird es wahrscheinlich in den nächsten zehn Jahren revolutionäre Veränderungen geben. Deshalb müssen endlich auf bundespolitischer Ebene Prioritäten gesetzt werden, was subventioniert wird und was nicht. 

 

Das heißt, das Berliner Klimakabinett müsste statt Anschaffungsprämien für Elektroautos den Ländern Geld für Bus und Bahn zur Verfügung stellen, so dass man zum Beispiel Angebote wie das Hopperticket von 50 auf 100 Kilometer erweitern könnte?

 

 Das könnte ich mir sehr gut vorstellen.  Das Wichtigste ist, dass wir in Thüringen die Möglichkeit bekommen, uns mit der Eisenbahn und dem Bus von A nach B zu bewegen, ohne bei jedem Wechsel  ein neues Ticket  kaufen zu müssen. In Thüringen und überall in Deutschland brauchen wir einen einheitlich, vertakteten ÖPNV. Dazu gehört auch mehr Park and Ride und der  Ausbau von Car-Sharing-Stationen, insbesondere in den Zentren und an Bahnhöfen. 

 

Was würde ein einheitlicher Thüringer Verkehrsverbund noch an Vorteilen bringen?

 

Mit nur einem Ticket und gut vertaktet  könnte man einen Teil der Strecke mit dem Bus und ohne zu warten einen anderen Teil mit der Bahn oder auch der Straßenbahn fahren. Als Land haben wir in diesem Kontext ein neues Förderprogramm für landesbedeutsame Buslinien erstellt. Busse die zwischen Mittelzentren mit Eisenbahnanschluss verkehren, zum Beispiel von Mühlhausen nach Eisenach, wo es keinen direkten Bahnverkehr gibt, werden  gefördert, wenn sie mit dem Eisenbahnverkehr vertaktet sind und dicht genug fahren. Seit 2017 haben wir 22 solcher Linien. Was viele nicht wissen ist, dass den ÖPNV in Thüringen die Kommunen gestalten. Das Land bestellt nur den Schienennahverkehr. 

 

In Erfurt regen sich viele über die Elektroroller auf. Sind das Auswüchse, die die Politik zum Handeln zwingen oder verschwindet dieser Hype bald wieder von selbst? Und haben diese Roller überhaupt einen Nutzen in punkto Verkehrswende?

 

 Auf jeden Fall wird man nachjustieren müssen. Zum einen, weil die Abstellmöglichkeiten nicht geklärt sind, und zum anderen weil der ökologische Nutzen in der Tat infrage zu stellen ist. Ich glaube aber nicht, dass sie einfach wieder verschwinden werden. Es scheint für den einen oder anderen durchaus ein Mittel der Wahl zu sein, wie das Fahrrad ja auch.

 

Sei es durch die Fridays Future oder die E-Bikes, der Radverkehr scheint deutlich anzuwachsen. Kann der Ausbau der Radwege und der Abstellmöglichkeiten in Thüringen da überhaupt mithalten?

 

Seit dieser Legislatur stellen wir 10 Prozent der Mittel des Landesstraßenbaus,  für den Bau von Radwegen zur Verfügung. An kommunalen Straßen wird der Radwegebau darüber hinaus verstärkt gefördert und der Radverkehr sicherer gemacht. Vorher gab es keine  Schwerpunktsetzung auf den Radverkehr und entsprechend gering waren die Mittel. Radwege brauchen wir nicht nur in den Städten, sondern auch zwischen den Dörfern. Im Radverkehrskonzept, das wir 2018 erarbeitet haben, liegt der Fokus vor allem auf dem Alltagsradverkehr. Genau wie bei den Elektrorollern müssen wir mehr Möglichkeiten schaffen, wo die Räder sicher abgestellt werden können. Auch da haben wir ein Förderprogramm aufgelegt, das sich speziell an den ÖPNV-Verknüpfungspunkten orientiert. Wenn Bahnhöfe oder Bushaltestellen saniert wurden, wurde immer auch an das Fahrrad mitgedacht. Das ist erst mal nur ein Tropfen auf den heißen Stein und muss zukünftig noch viel weiter ausgebaut werden. Ob Fuß, Fahrrad, Auto, Bus oder Eisenbahn – alle Verkehrsmittel müssen zusammen gedacht werden und nicht jedes einzeln.

 

Welche konkreten Verkehrsprojekte, zum Beispiel die Reaktivierung der Pfefferminzbahn, könnte es unter einer Neuauflage von Rot-Rot-Grün noch geben?

 

Wir kämpfen für die Reaktivierung mehrerer  Bahnstrecken. Da möchte ich auch die Höllentalbahn nennen. Die könnte eine Menge Schwerlastverkehr von der Straße auf die Schiene bringen. Neben der Pfefferminzbahn haben wir die Werrabahn im Blick. Solche Eisenbahnverbindungen müssen wir neu denken, wenn wir von Verkehrswende sprechen.  Strecken, wie die Pfefferminzbahn, wurden nicht stillgelegt, sondern nur nicht wieder beauftragt, weil kaum noch jemand gefahren ist. Ich würde mir deshalb wünschen, dass der Aufschrei vor der Abbestellung kommt und zwar in der Form, dass man in die Bahn einsteigt. Insofern ist die Höllentalbahn das bessere Beispiel, ohne die jeden Tag hunderte Schwerlasttransporte mit Holz über die Straße rollen müssen. Mehr Verkehr auf die Schiene ist auf jeden Fall eine klare Ansage für die nächste Legislaturperiode. Ich will auch die Unternehmen animieren, wieder mehr auf die Schiene zu setzen. Dazu müssen wir die Gleisanschlüsse der Firmen wieder herstellen. Dazu könnte ich mir auch eine Förderung vorstellen. Und natürlich müssen wir den   ÖPNV attraktiver machen. Dazu muss Bus und Bahn bezahlbar und vor allem  besser vernetzt sein. Es kann nicht sein, dass der Individualverkehr immer noch preiswerter ist, als Bus oder Bahn zu nutzen.            

th