Es geht immer um Vorurteile

Im Gespräch mit dem Kriminalist und LINKE-Politiker Frank Tempel über das Rassismus-Problem in der Polizei und wie es besser werden kann.

Links und Polizist, das ist eine seltene Kombination. Frank Tempel war schon immer links und saß von 2009 bis 2017 für DIE LINKE im Bundestag. Heute arbeitet er wieder als Kriminalist, was man sich so ähnlich wie im Tatort vorstellen kann. Der Altenburger ist von der Schwarz- Weiß-Sicht in den Debatten um Rassismus und Polizeigewalt genervt: „Entweder sind Polizisten die Unfehlbaren und es ist schon eine Beleidigung, überhaupt Kritik zu üben. Oder Polizisten werden als böse, durchweg gewaltaffine Rassisten hingestellt. Eine Debatte in dieser Art wird das Problem eher verstärken, als Lösungen aufzuzeigen und dass, obwohl es eine Zunahme rassistischer Handlungsweisen gibt“. 

 

Liegt die Ursache für das Rassismus-Problem schon in der Ausbildung?

 

Das Problem ist der Dienst-Alltag und nicht die Ausbildung, auch wenn das von politischer Seite anders gesehen wird. Es gibt eine massive Stigmatisierung von Gruppen, aufgrund von Vorurteilen. Es gibt Racial-Profiling auch, wenn das in keinem Polizeiaufgabengesetz drin steht. Das hat viel mit Wahrnehmungen und Psychologie zu tun. Das Entwickeln von rassistischen Denkweisen, die zu rassistischen Handlungen führen, ist ähnlich wie die negative Stigmatisierung von Polizisten, wenn man es psychologisch und nicht politisch betrachtet. Man nimmt von bestimmten Gruppen immer das wahr, was man sowieso schon über sie denkt. Es geht immer um massive Vorurteile. 

 

Was heißt das in der Polizeipraxis?

 

Wenn ein Iraker die Polizei ruft, weil bei ihm eingebrochen und 10.000 Euro gestohlen wurden, wird schnell angenommen: Es ist Drogengeld. Oder ein anderes Beispiel: Die Debatte um „Nafris“ (interne Arbeitsbezeichnung für „Nordafrikanischer Intensivtäter“). Eine Masse von Polizeibeamten glaubt, dass die alle kriminell sind. Aber sie haben auch nur mit denen, die kriminell sind, zu tun. Dieses Bild wird durch Einflüsse wie Pegida oder die Berichterstattung von Bild und Co. noch verstärkt, wenn irgendwo ein Afghane mit einem Messer los ging. Besonders krass ist es bei Sexualdelikten: Das wird nur skandalisiert, wenn der Täter kein Deutscher ist. Das verzerrt die Wahrnehmungen massiv und es gibt dienstlicherseits nichts, was das auffängt. 

 

Ist das auch in Thüringen so?

 

Leider ist es in diesem Kontext egal, wer regiert. Auch unter Rot-Rot-Grün hat sich in Thüringen da nichts verändert. Ein rassistischer Vorfall wird in der Dienstnachbereitung nicht diskutiert, selbst, wenn es öffentlich bekannt war. Spontan sagt jeder Polizist: Ich bin doch kein Rassist, habe sogar ausländische Freunde und nur was gegen die, die kriminell sind. Vielen ist einfach gar nicht klar, wo der Rassismus eigentlich anfängt. So entsteht ein latenter Rassismus: Ich empfinde mich nicht als rassistisch, handle aber rassistisch.  

 

Wie sind deine persönlichen Erfahrungen im Dienst-Alltag?

 

Ich war als junger Beamter mal ein Vierteljahr für die Bearbeitung von Ausländerkriminalität in Saalfeld zuständig. Ich hatte jeden Tag mit kriminellen Ausländern zu tun: Verstöße gegen die Residenzpflicht, die es damals noch gab, aber auch bandenmäßigen Ladendiebstahl. Da habe ich an mir Veränderungen im Denken und im Sprachgebrauch festgestellt. Im Supermarkt sehe ich drei  Ausländer und denke: Die wollen  klauen. Oder ich sehe ein polnisches Kennzeichen  und denke: Das Auto ist bestimmt geklaut. Aber das kann man korrigieren. In der Psychologie nennt man das positive Selbstinstruktion. Das habe ich gemacht, bin über mich erschrocken und habe mich korrigiert. 

 

Kann man das von einem Polizisten nach einer stressigen 10-Stunden-Schicht überhaupt erwarten?

 

Das müsste der Dienstherr übernehmen. Wir müssen uns mit der einseitigen Wahrnehmung, die ein Polizist im Dienst nunmal hat, auseinandersetzen! Es muss eine möglichst hohe Objektivität erhalten bleiben. Es gibt viele junge Polizistinnen und Polizisten, die Idealisten sind und dann mit älteren Kollegen konfrontiert werden, die ihre 20-jährige Erfahrungen als das Nonplusultra sehen. Wenn man lange Zeit mit Migranten nur als Kriminalist zu tun hat, gibt man genau dieses Bild an die Jungen weiter. Das gibt es ja auch andersrum: Wer regelmäßig auf Demos geht, hat irgendwann nur noch das Bild vom bösen Polizisten vor Augen …

 

Oder wer zum Fußball geht …

 

Genau! Da sieht man nicht wie ein Polizist einer Frau hilft, die Stalking ausgesetzt ist. Oder wie ein Beamter in ein brennendes Haus rennt, um Menschenleben zu retten. Man sieht nur den Polizisten im geschlossenen Einsatz und nicht den Freund und Helfer im tagtäglichen Dienst.  

 

Bei einer Demo habe ich selbst erlebt, wie ein Polizist einen Demonstranten ohne ersichtlichen Grund brutal ins Gesicht schlug. Ich wollte ihn anzeigen, aber der Täter war nicht mehr auffindbar. 

 

Und wer dann eine solche Anzeige macht, bekommt meistens auch eine Anzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Ich hab mal einen Beschuldigten vernommen, dem das nach einen Fußballspiel in Jena so gegangen ist. Der war mit seinem Sohn nur zufällig da unterwegs und wurde von Polizisten umgehauen, hat sich an einen Gruppenführer gewandt, wollte Anzeige erstatten und erhielt statt dessen selber eine wegen Widerstand. 

 

Wie könnte man die, die Mist bauen zur Rechenschaft ziehen und gleichzeitig all jene, die ihren Job gut machen schützen? 

 

Verhältnismäßigkeit und mögliches alternatives Handeln muss in der Dienstnachbereitung immer wieder besprochen werden.  Das gilt auch für das Rechtsstaatsprinzip und die Gewaltenteilung: Die sind schwer erschüttert. Viele Polizisten glauben, Politik und Justiz sind unfähig und nur sie selber stehen noch für Recht und Ordnung. Die Gesetze macht aber die Politik und nicht die Polizei. 

 

Thomas Holzmann