Faul, dumm und gewalttätig – zehn Mythen über die Jugend

Robert Richter, Referent für Jugend und politische Bildung von DIE LINKE. Thüringen und Mitglied im Archiv der Jugendkulturen e.V. analysiert die gängigsten Denkmuster über Jugendliche und vergleicht sie mit der Realität.

In den Zeitungen steht nur Schlechtes über Jugendliche.


Stimmt! Der Großteil der Berichterstattung über Jugend fällt negativ aus. Aber warum ist das eigentlich so? Die Medien haben in den letzten vier Jahrzehnten einen wichtigen Platz bei uns allen eingenommen. Dabei spiegeln diese nicht die Realität in ihrer Gänze wieder, sondern das, was sich am besten verkauft. Negatives macht mehr Absatz als Positives. Das Archiv für Jugendkulturen e. V. wertet seit vielen Jahren 16 Tageszeitungen zum Schwerpunkt Jugend aus. Das Ergebnis: 80 Prozent der Nachrichten über junge Menschen in bundesdeutschen Zeitungen beschäftigen sich z. B. laut Klaus Farin mit einer Minderheit von weniger als 10 Proznet der Jugendlichen, die alkoholabhängig, drogensüchtig oder rechtsextrem sind. Gesellschaftliche Problemlagen werden deshalb, allzu gerne auf die Jugend übertragen. Wenn ich mir Thüringen anschaue, kann ich feststellen, dass nicht nur Jugendliche rechtsradikal werden


Jugendliche sind gewalttätiger als früher.


Dieser Mythos ist allgegenwärtig. Sehr oft lesen wir von Übergriffen und Überfällen von Jugendlichen auf andere. Wenn ich mit älteren Menschen spreche, kommt sehr oft das Argument „Wir haben früher auch gekämpft, aber wir haben nicht mehr drauf getreten, wenn jemand am Boden lag“. Es hat den Anschein, als ob dies in einem kollektiven Gedächtnis abrufbar wäre. Belegbar ist es nicht, zumindest nicht genau. Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) ist abhängig von demografischen Entwicklungen und Veränderungen im Anzeigeverhalten. Festzustellen ist, dass heute mehr Taten angezeigt werden als früher. Was zur Folge hat, dass es auch mehr Straftaten gibt. Mehrere Studien zu diesem Thema kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, einige konstatieren steigende, andere fallende Zahlen der Jugendgewalt. Insgesamt wird aber die Mehrheit aller Straftaten in Deutschland nach wie vor von Erwachsenen begangen.


Jugendliche werden immer dümmer.


Werden sie es nun oder nicht? Die steigenden Zahlen der Studienberechtigten (AbiturientInnen) und Studienanfänger sprechen zumindest dagegen, wenn man Intelligenz an formalen Bildungsabschlüssen festmacht. Wichtig ist aber, dass der Bildungserfolg in Deutschland maßgeblich vom Geldbeutel der Eltern abhängt. Gerade Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Schichten scheinen von der Gesellschaft immer weiter abgedrängt und ausgeschlossen. Das schlechte Leseverhalten von Jugendlichen in Deutschland liegt nach dem Bildungsbericht 2012 im Durchschnitt der OECD-Staaten. Aber auch wenn die Lesekompetenz sich verschlechtert haben sollte, kann Jugendlichen eine hohe Medienkompetenz konstatiert werden. 


Jugendliche wollen nur Party machen.


Jugendliche lernen Party machen und lernen die angebotenen Spaß-, Freizeit-, und Konsumangebote zu nutzen. Sie haben, wie und durch ihre Eltern, einen positiven Bezug zum Markt, denn mit diesem sind sie aufgewachsen und dieser bietet ihnen zugeschnittene Angebote für alle Lebens- und Gefühlslagen. Wer die Jugend deswegen kritisieren will, sollte in der Analyse erstmal mit den gesellschaftlichen Zuständen beginnen. Denn hier haben sich wirklich in den letzten vier Jahrzehnten Betätigungsfelder in der Pubertät und Adoleszenz verändert.


Jugendliche sind politikverdrossen.


Nein! Eine Vielzahl von Jugendlichen beurteilen, dass (Partei-) Politik „out“ ist. Sie identifizieren die Demokratie und den Staat nicht mit den Parteien oder bewerten diese mit unterschiedlichen Maßstäben. So wird staatlichen Institutionen, wie der Polizei und Justiz, wesentlich mehr Vertrauen entgegengebracht als denen, die die Maxime dieser Behörden im Wesentlichen bestimmen. Obwohl die Tendenzen bei Weitem nicht stark ausgeprägt sind, ist dennoch ein Interesse an politischen Zusammenhängen vorhanden. Jugendliche können sich vorstellen themenbezogen politisch aktiv zu werden, dafür sind Erfolgsaussichten und eine Identifikation mit der Problemlage Voraussetzung. Die skandalisierte Politikverdrossenheit ist in Wahrheit eine PolitikerInnen- und Parteienverdrossenheit. Parteien schaffen es nicht, gesellschaftliche Frage- und Problemstellungen der heutigen Jugend zielgerichtet darzulegen und zu vermitteln. Sie haben unter Jugendlichen eine negative Anerkennungsbilanz und werden kritisch und distanziert beobachtet.


Jugendliche wollen nicht arbeiten.


Die „pragmatische Generation“, wie sie die Shell Jugendstudie im Moment nennt, ist äußerst leistungsorientiert (83 Prozent finden es wichtig, „fleißig und ehrgeizig“ zu sein). Jugendliche stehen, genauso wie die Erwachsenen auch, unter Druck. Sie nehmen vielfach wahr, dass der Wert eines Menschen in erster Linie an seiner Leistungsfähigkeit bzw. Bildungsbiografie bemessen wird. Man keine Zeit vertrödeln darf und früh den „richtigen“ Weg einschlagen und gleichzeitig flexibel für neue Wege bleiben muss. Die pragmatische Generation begegnet den gestiegenen Unsicherheiten und Zukunftsängsten mit erhöhter Leistungsbereitschaft und nimmt viel früher als ihre Vorgänger Erwachsenenpositionen ein.Früher waren Jugendliche politischer…

und Erwachsene auch. Obwohl sich der Prozess der wachsenden Parteien- und PolitikerInnenverdrossenheit bei Jugendlichen schneller vollzieht. Aber welche Jugendgenerationen waren eigentlich politisch? Natürlich die 68er der BRD. Nur ist die damalige Situation, in der die Jugendlichen wissen wollten, warum ihre Eltern Nazis waren, nicht mehr mit heute vergleichbar. Obwohl diese Generation der Gesellschaft ihren Stempel aufdrückte wie keine nach ihr, waren auch nicht alle Jugendlichen und auch nicht alle Studierenden auf der Straße. Der beliebteste Künstler von 1967-1970 in den Bravo Charts, war damals übrigens Roy Black.


Die Jugendlichen engagieren sich nicht.


Jugendliche engagieren sich sehr wohl. 2010 haben sich fast die Hälfte aller Jugendlichen in Deutschland (44,9 Prozent) ehrenamtlich betätigt. Nur die Motivation hat sich vielleicht geändert. Heute steht der Spaß und persönliche Nutzen als Entscheidungsgrundlage im Vordergrund, etwas das gesellschaftlich anerkannt ist. Und das Engagement findet immer weniger in Großorganisationen statt, die eine Mitgliedschaft bedingen, sondern auf lokaler Ebene, spontan und für einen eingegrenzten Zeitraum.


Die Jugendlichen von heute kennen keine Werte mehr.


Welche Werte eigentlich? Wenn es um so etwas wie Fleiß, Pünktlichkeit und Disziplin geht, dann stehen sie den Erwachsenen in nichts nach. Die Zukunftsängste bestimmen ihr Handeln und übertragen die Wert- und Normvorstellungen der Gesellschaft frühzeitig in das eigene Handeln. In Bad Salzungen sind am 27. November 250 SchülerInnen auf die Straße gegangen um gegen Unterrichtsausfall zu demonstrieren. In meiner Jugendzeit hätte ich mich darüber gefreut.


Früher waren Jugendliche vor allem eins…


anders. Jugendliche wachsen heute anders auf, bewältigen andere Aufgaben und grenzen sich auch wieder anders von den Älteren ab. Meine Mutter hatte Schallplatten, meine Schwester Kassetten, ich CDs und heute sind es eben MP3-Player und iTunes. Der Blick auf die eigene Jugend, so scheint es mir zumindest, wird mit den vergehenden Jahren verklärter und hübsch ausgemalt. Die Schwierigkeiten und negative Erlebnisse, vor denen wir standen und die wir zu bewältigen hatten, weichen den positiven und schönen Erinnerungen. Die Jugend hat heute viel mehr Möglichkeiten und nutzt diese auch sehr intensiv. Sie organisieren Konzerte, bauen Websites oder programmieren Flashgames, sie organisieren Flashmobs und boykottieren Produkte, sie diskutieren in Foren und stellen Artikel bei Wikipedia online und sie wollen ihr eigenes Leben gestalten und planen ihre Biografien sehr überlegt.Quellen: Christoph, G. & Reinders, H.  (2011). Jugend. Engagement. Politische Sozialisation.Deskriptive Befunde der ersten Erhebungswelle 2010.Klaus Farin. Jugendkulturen heute – Essay.Klaus Farin. über die Jugend und andere Krankheiten.Shell Jugendstudie 2010.Bildungsbericht 2012.Sinus-Jugendstudie 2012.