Versteckte Champions oder wenn der Chef auf dem Tisch tanzt
Als Jena noch „wilder Osten“ war tanzte Jörg „Kinski“
Daunke auf dem Tisch seiner eigenen Bar. Heute leitet er ein erfolgreiches Unternehmen, das in Thüringen wachsen will und es mit Nachhaltigkeit und Inklusion ernst meint.
Viel zu oft führt der Lebensweg junger Menschen von Jena oder Erfurt aus eher in die große weite Welt als in die Dörfer, die man sonst höchstens von Staumeldungen aus dem Autoradio kennt. Thüringen: zu klein, zu wenig los und leider vor allem immer mehr zu braun. Die Lage ist ernst, aber der Kampf noch lange nicht zu Ende. Und auch Thüringen ist viel mehr als Nazis und Westflucht. Da braucht man nur den Ministerpräsidenten zu fragen. Der findet zwar nur schwer einen Thüringer Ort, an dem er noch nicht war, aber selbst Bodo Ramelow lernt immer noch Gutes, Schönes und Überraschendes im Freistaat kennen.
So wir er hatten wir auch noch nicht von J.Kinski gehört und bei Magdala denken wir eher, wie weit es von dort noch bis Jena-Göschwitz ist. Dabei ist Jörg „Kinski“ Daunke schon lange ein erfolgreicher Unternehmer, auch wenn er nicht in Nadelstreifen, sondern wie ein Großstadthipster daher kommt. Früher hatte der Potsdamer nicht nur eine Bar in Jena, er tourte auch mit Street Food durchs Land und betrieb ein Pop-Up-Restaurant in Zürich.
Mit seiner neuen Firma Goodvenience.BIO GmbH erwirtschaftet er 2023 fast zwei Millionen Euro Umsatz: 350.000 verkaufte Produkte! Die alte Eisdiele in Magdala, in der die Soßen und Gewürzmischungen von 12 Beschäftigten in reiner Handarbeit produziert werden, ist mit ihren 64 Quadratmetern aber längst viel zu klein. Bis Oktober soll jetzt erweitern werden auf über 600 Quadratmeter. Das wird ein dickes Brett, aber Jörg Daunke hat 20 Jahre harte Gastro-Erfahrung hinter sich. Aus dieser Zeit im „wilden Osten“, als die Jenaer Innenstadt noch eine Großbaustelle war, hat der frühere „Partykönig“ auch seinen Spitznamen weg, weil er eines Morgens auf dem Tisch tanzte, während darunter noch ein Gast lag, ganz so wie der berühmt-berüchtigte Schauspieler Klaus Kinski.
Doch nicht nur die Jenaer Innenstadt hat sich gewandelt. Die gleichen Leute, die früher Nächte durchfeierten, haben heute Kinder und wollen ihre Ruhe haben. So auch Jörg Daunke und seine aus Jena stammende Frau, Yvonne Diepold, die ebenfalls im Unternehmen arbeitet Was macht das Unternehmen so besonders? Allen voran, dass Nachhaltigkeit nicht nur irgendein Etikett ohne Wert ist. Die Firma hilft aktiv, ökologische Problem zu lösen. Beispielweise hat man die hoch invasiven chinesischen Wollhandkrabben „wegfischen lassen“ und zu Brühen verarbeitet. Bodo Ramelow scherzt: „Könnt ihr nicht was aus unseren Borkenkäfern machen“. Theoretisch ginge das sicher, aber im Gegensatz zur Wollhandkrabbe wäre der Borkenkäfer wohl ähnlich schwer zu vermarkten wie Waschbär, Fischreiher oder Kormoran.
Aber ein guter Unternehmer erkennt Chancen und nutzt sie. Ein Bauer hatte Chilis angebaut, um Umkraut zu bekämpfen und wusste nicht wohin damit - Kinski macht Chilli-Paste draus. Ein anderer hätte eine große Menge Knochen wegwerfen müssen - Kinksi machte Brühe draus. Viele Zutaten für die verschiedenen Produkte kommen aus kleinen Thüringer Manufakturen. Der Strom stammt aus erneuerbaren Quellen. Nutztiere werden vollständig verwertet, sowohl regionale aber auch die Schalen von Flusskrebsen oder Bio-Garnelen, die sonst auf dem Müll landen würden, werden verarbeitet.
Die braunen Glasflaschen für die Brühen kommen aus dem traditionellen Glashüttendorf Lauscha vom einzigen Hersteller Deutschlands, der eine CO2-neutrale Flasche produziert. Beim Verpacken helfen Menschen mit geistigen und körperlichen Einschränkungen. Kein Wunder, dass Konzept, welches das derzeit 12-köpfige Team verfolgt, schon 2022 mit dem Organic Award der EU ausgezeichnet wurde.
Versteckte Champions in Thüringen
Alzarro Dönerworld
Tiefkühlpizza war gestern. Anfang des Jahres hat Mustafa Demirkürek („Dr. Döner“) aus Korbußen (Kreis Greiz) den ersten Aufbackdöner auf den Martkt gebracht, den es u.a. bei REWE und Edeka gibt. Sein Meisterstück enthält alles, was einen echten Döner ausmacht: Fladenbrot, frisches Weißkraut, Rotkraut, Eisbergsalat, Zwiebel, Tomate und eine Kräutersoße nach eigenem Geheimrezept.
Polycare Research Technology
2010 von Dr. Gerhard Dust und Gunther Plötner in Gehlberg gegründet. Die Idee entstand als Antwort auf die Not, von Naturkatastrophen betroffene Menschen unterzubringen. Polycare entwickelte ein System, um robuste Gebäude aus vorgeformten, steckbaren Bausteinen zu errichten. Die Herstellung ist nachhaltig und sozial gestaltet. Die Bausteine bestehen aus Kies oder Sand und Polyesterharz als Bindemittel. Polycare ist die erste Firma, die aus Wüstensand Baustoffe herstellen kann. Durch ihr System steckbarer Bausteine lassen sich ohne spezielle Ausbildung in kürzester Zeit individuell gestaltbare Gebäude auf- und wieder abbauen. Das Gießen der Elemente erfolgt vor Ort in den jeweiligen Ländern. Das hält die Transportwege kurz. Mit Erfolg: Co-CEO Andreas Kunsmann verkündet, 2023 war das beste Unternehmensjahr.
Erfurter Bahn Service
Nicht nur die zu 100 Prozent der Landeshauptstadt gehörende Erfurter Bahn ist ein Hidden Champion, sondern auch die Erfurter Bahnservice GmbH. Sie bietet termingerechte Schienenverkehre als Komplettpaket. In der Erfurter Logistikzentrale laufen alle Fäden zusammen. Außerdem bietet das 2006 gegründete Unternehmen auch die beliebten historischen Fahrten an: mit der Dampflok nach Prag, zum Weihnachtsmarkt nach Quedlinburg oder die „Ferkeltaxe“ zwischen Gotha und Emleben. Nicht zuletzt rettet die Firma viele wertvolle Altbauloko- motiven vor der Verschrottung und sponsert das Eishockey-Team der Black Dragons.
WeCare
Die WeCare Agentur der Uni Jena hat fünf Erprobungsräume ausgewählt, um die von ihren Partnern entwickelten telemedizinischen Lösungsansätze in der Praxis anzuwenden. Die ausgewählten Regionen sind: Weimarer Land, Saalfeld-Rudolstadt, Saale-Holzland-Kreis sowie Saale-Orla-Kreis. In einer Konzeptphase konnten die WeCa-Partner bereits 48 innovative Projektideen erarbeiten, um Lücken im Netz der Gesundheitsversorgung zu schließen. Dazu zählen u.a. eine E-Health-Lösung für Menschen mit erhöhtem Demenz-Risiko, die auch die Angehörigen mit einbezieht. Ebenso telemedizinische Ansätze zur präzisen sensorischen Erfassung von Lebensparametern oder neue Werkzeuge für die Kommunikation zwischen Patient, Notärztin, Rettungssanitäter und der Notaufnahme im Krankenhaus.
KOEHLER PAPER
Im Greizer Werk stellt die Firma hochwertige, farbige Papiere und Kartons, aus 100% Sekundärfaserstoffen her. Letztes Jahr wurde das lokale Kraftwerk von Braunkohle auf die Nutzung von Holzfeinfraktion umgestellt. Den Mitarbeitern von Koehler Renewable Energy, die zur Koehler-Gruppe gehören, ist es gelungen ein Verfahren zu entwickeln, durch das im vorhandenen Kohlekraftwerk nun ein bisher ungenutztes Biomassesortiment als Brennstoff genutzt werden kann. Das sei eine Innovation am Markt und eröffne viele neue Möglichkeiten bei der Dekarbonisierung von Heizkraftwerken.