Ist der Pazifismus tot?

Politik im Land

Seit Putins Krieg scheint es nur noch schwarz oder weiß zu geben. Wer gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ist, wird als Putin-Fan oder „Lumpenpazifist“ gegeißelt. Ostermärsche wurden als „Dritte Kolone“ des russischen Kriegsverbrechers gebrandmarkt. UNZ hat die komplexen Fragen mit Sabine Lötzsch und Phillip Gliesing vom Jenaer Ostermarsch-Bündnis diskutiert.

 

Auf dem Weg in den 3. Weltkrieg?

 

Si vis pacem pare bellum: Willst du Frieden, rüste für Krieg. So argumentierten schon griechische Philosophen und römische Senatoren vor 2000 Jahren. Mit Putins Überfall auf die Ukraine muss man diese These auch mit Friedensbewegten diskutieren. Ist nun Pazifismus noch „ein ferner Traum“, wie es der Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) formulierte. Soll die Ukraine den Kampf aufgeben oder muss Deutschland jetzt auch schwere Waffen liefern? Und was ist mit China, Atomwaffen und der Gefahr eines 3. Weltkriegs? Komplexe Fragen, die UNZ versucht, mit Sabine Lötzsch und Philipp Gliesing vom Jenaer Ostermarsch-Bündnis zu diskutieren. 

 

 

Sabine Lötzsch hat lange Zeit bei Jenoptik gearbeitet. Als vor 10 Jahren der Trägerkreis Rüstungskonversion gegründet wurde, dachte sie: „Da müssen auch Insider dabei sein!“ So lernte sie die Friedensbewegung kennen. Sie weiß genau wovon sie redet, denn vor 1990 war sie als Mathematikerin u.a. für Zielführungseinrichtungen von Panzern zuständig. „Man muss sich verteidigen können“, lautete damals ihr Ansatz. Als ihre Söhne sich nach der Wende gegen die Bundeswehr entschieden, reifte bei ihr aber die Erkenntnis: „Krieg und Rüstung schaden nur“. 

 

 

Philipp Gliesing stammt aus einem Elternhaus, das in der DDR-Bürgerrechtsbewegung aktiv war. Mit 14 hat er den Roman „Damals war es Friedrich“ von Hans Peter Richter gelesen, in dem es um das Leben eines jüdischen Jungen in der NS-Zeit geht. Als Kind sah Gliesing die Schrecken des Krieges in Jugoslawien im Fernsehen und entschied, erst den Wehrdienst zu verweigern und später die Pößnecker Linksjugend zu gründen, um sich aktiv gegen Krieg und Militär zu engagieren. Außerdem ist er Sprecher des Arbeitskreises Frieden der Thüringen LINKEN. 

 

„Der Putinismus kann nicht durch Krieg verhindert werden, ohne dabei den Einsatz von Massenvernichtungswaffen zu riskieren“

 

Wie halten es zwei Menschen mit sehr unterschiedlicher Sozialisierung mit Fragen wie deutsche Waffen für die Ukraine? „Der Frieden in Europa wäre am 8. Mai 1945 nicht möglich gewesen, wenn Alliierte nicht gemeinsam den Faschismus niedergerungen hätten“, mahnt Gliesing. „Heute leben wir in einem Atomraketen-Wald – ein wesentliche Unterschied zu 1939 als Hitler hätte gestoppt werden müssen. Nun steht sogar der Atomwaffensperrvertrag auf der Kippe. Der Putinismus kann nicht durch Krieg verhindert werden, ohne dabei den Einsatz von Massenvernichtungswaffen zu riskieren, sondern nur durch einen Umbruch im Inneren. Für Linke in Europa stellt sich die Frage: Wie kann Sicherheits- und Friedenspolitik zusammen gedacht werden“, so Gliesing. Die Münchner Sicherheitskonferenz sieht er als „Konferenz der Rüstungsindustrie im Verbund mit den Regierenden“ und für Abrüstungsgespräche als ungeeignet. 

 

„Die Friedensbewegung ist sich im Kern einig und konsequent gegen Waffenlieferungen

 

Kontrovers wird auch in der Friedensbewegung diskutiert. Von einer Spaltung will Sabine Lötzsch aber nichts wissen: „Die Friedensbewegung ist sich im Kern einig und konsequent gegen Waffenlieferungen. Wir haben das beim Aufruf zum Ostermarsch aber nicht thematisiert, weil wir ein breites Bündnis hinter dem Aufruf organisieren wollten. Und ich habe es in meiner Rede auch ausgelassen. Denn ich sage auch: Wie soll man sich mit bloßen Händen gegen Bomben wehren?“ 

Eine Kapitulation der Ukraine wie sie der „Fernsehphilosoph“ Richard David Precht fordert ist für Lötzsch keine Option: „Wenn sich die Ukraine ergibt, dann hätten sie sich aufgegeben“. Aber: „Bei Waffenlieferungen bin ich hin und her gerissen“. Das dürfte selbst in der SPD-Bundestagsfraktion vielen ähnlich gehen, auch wenn sich keiner traut, das offen auszusprechen.

 

Wer die NATO kritisiert wird ausgebuht 

 

Wie in allen Kriegen gibt es kein Differenzieren mehr, sondern nur schwarz oder weiß. Wer gegen Waffenlieferungen ist oder wie Gliesing die Frage aufmacht, wo die am Ende mal landen, wird schnell als Putin-Versteher oder heuchlerischer Wohlfühlpazifist diffamiert. Gleiches gilt für alle, die an die lange Vorgeschichte des Krieges und der NATO-Osterweiterung erinnern. Als Sabine Lötzsch das auf einer Demo in Jena ansprach, wurde sie erst lautstark ausgebuht und ihr dann das Mikro weggenommen. 

Sehr martialisch und mit einem blau-gelben Fahnenmehr treten Ukrainer*innen nicht nur in Jena auf. Forderung: Mehr Waffen und eine Flugverbostzone. „Das beschwört die Gefahr eines Atomkrieges herauf“, befürchtet nicht nur Lötzsch, sondern sogar das Pentagon in Washington. Trotzdem hat sie durchaus Verständnis für die ukrainische Sicht und dass gerade keiner etwas über die verfehlte Politik der NATO und des Westens hören will. 

 

Profit und Frieden gehen nicht zusammen

 

Beim Jenaer Ostermarsch gab es allerdings einen Redebeitrag von „Klima und Klasse“, die etwas differenzierter an das Thema herangehen: „Die haben klar gesagt: Profit und Klima gehen genauso wenig zusammen wie Profit und Frieden“. Der militärisch-industrielle Komplex ist keine Verschwörungstheorie, sondern sowohl in den USA, der EU als auch in Russland und China Realität. US-Präsident Dwight D. Eisenhower hat nicht umsonst schon 1959 davor gewarnt. War dem Westen nach 1990 kurzzeitig das Feindbild abhanden gekommen, erfüllte der Internationale Terrorismus nach dem 11. September 2001 diese Rolle. Über Al Qaida, den IS oder Kriege wie im Jemen redet angesichts des Gemetzels in der Ukraine kaum jemand. 

 

„Pazifismus ist gerade in Deutschland eine Kraft, die es braucht“

 

Gleiches gilt für die europäische Nachkriegsordnung. „Wenn auf Demos die Forderung nach einer europäischen Sicherheits-Architektur unter Einbeziehung Russlands ausgebuht wird, dann ist das in weite Ferne gerückt“, befürchtet auch Gliesing. Seiner Meinung nach war die Ostermarsch-Bewegung aber noch nie eine einheitliche Masse und die Kunst bestand immer darin, einen gemeinsamen Konsens zu finden. „Ich glaube nicht, dass der Pazifismus tot ist. Pazifismus ist gerade in Deutschland, als Verursacher von zwei Weltkriegen, eine Kraft, die es braucht. Trotzdem braucht es auch ein Hinschauen auf die berechtigten Sicherheitsinteressen von Ländern in Osteuropa“, argumentiert der Gliesing. 

 

Putin nach Den Haag? Erst, wenn die USA das Gericht anerkennen! 

 

Internationale Organisationen, die vermitteln und Erfahrungswerte bei der friedlichen Konfliktbewältigung haben, spielen aber im Zeitalter des „Neoimperialismus“ keine große Rolle. „Die UNO wird seit Jahren auch von westlichen Staaten untergraben“, kritisiert Gliesing und führt als Beispiel den Internationalen Gerichtshof an: „Solange die USA den selber nicht anerkennt, ist es ein Irrwitz zu fordern, Putin dort vor Gericht zu stellen. Das geht nur, wenn das Gericht von allen führenden Mächten auch anerkannt wird.“ 

 

Selensky: Friedenvertrag per Volksabstimmung? 

 

Das wird aber nicht passieren, denn wie die Welt durch die Enthüllungen von Edward Snowden weiß, hat sich die USA im Irak auch Kriegsverbehen schuldig gemacht, von denen im Vietnamkrieg ganz zu schweigen. Die USA werden in Bälde ebenso wenig eigene Politiker und Militärs ausliefern wie Russland. Für solche Aussagen würde mensch derzeit wohl auch auf einer Friedenskundgebung ausgebuht.  Angesichts der nicht besiegten Corona-Pandemie und der Klimakatastrophe gibt es nur wenig, was Hoffnung macht. Aber es gibt sie, die kleinen Signale. Gliesing verweist auf die Idee des ukrainischen Präsidenten, die Ergebnisse eines Friedensvertrages in einer Volksabstimmung bestätigen zu lassen.

 

Russische Gasleitungen nach dem Krieg für „grünen Wasserstoff?“

 

Auch der Weg in den 3. Weltkrieg ist kein Naturgesetz. Vor allem, weil die Apparatschiks in China letztlich pragmatisch genug sind und wissen, dass sie noch viel stärker wirtschaftlich mit dem Westen verflochten sind als Russland. 

Lötzsch bringt eine Idee vom ehemaligen UN-Korrespondenten Andreas Zumnach ins Spiel: „Russland nach dem Krieg als großen Erzeuger von erneuerbaren Energien gewinnen und über die Gasleitungen „grünen“ Wasserstoff transportieren. Das würde zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen – die wirtschaftliche Zusammenarbeit wird wiederhergestellt und Russland würde endlich den Kampf gegen den Klimawandel einleiten“. 

 

Den Krieg vom Ende her denken 

 

Voraussetzung für eine solche Entwicklung wäre aber, den „Krieg vom Ende her zu denken“, wie der Politikwissenschaftler Johannes Varwick empfiehlt. Wie wohl die Reaktion darauf auf den Thüringer Ostermärschen ausgefallen wäre?                    th