Es gibt immer Alternativen zum Krieg!

UNZ sprach mit dem Friedensforscher Jan van Aken über die Schwäche der Vereinten Nationen, Russland den Westen und Wege zum Frieden.

 

Vor 15 Jahren sah es noch so aus als stünde eine Reform des UN-Sicherheitsrates kurz bevor. Doch angesichts des aktuellen Kriegsgeschehens muss die zynische Frage erlaubt sein: Gibt´s die UNO eigentlich noch?

 

Ja, die gibt es noch, aber sie ist kein eigenständiger Akteur. Nur einmal, in den 1990er Jahren, gab es ein kurzes Fenster für mehr globale Zusammenarbeit, nach dem Ende des Kalten Krieges. Aber die UNO ist nun mal nur ein Zusammenschluss von 194 Staaten. Die kann eigentlich gar nicht als eigenständig auftreten und in Friedens- und Sicherheitsfragen schon gar nicht. Diese Kompetenz hat nur der Sicherheitsrat. Nur der kann völkerrechtlich bindende Beschlüsse fassen. Aber der ist ständig blockiert, entweder durch die USA oder durch Russland.

 

Warum sind die Reformversuche gescheitert?

Zwischenzeitlich sah es in der Tat mal so aus als würde es zumindestens eine Erweiterung geben. Auch Deutschland wollte ja unbedingt einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat haben. Aber diese Erweiterung wäre schon nicht mal ein Reförmchen gewesen, eine wirkliche Stärkung der UNO könnte nur darin liegen, die Kompetenzen vom Sicherheitsrat in die – demokratischere – Generalversammlung zu verlegen. So richtig handlungsunfähig ist der Sicherheitsrat seit rund zehn Jahren. Der ganz große Bruch kam im Nachgang auf einen Anschlag auf das US-amerikanisches Konsulat in Bengazi, Libyen 2012. US-Präsident Barack Obama hatte sich zunächst gegen einen Militäreinsatz gesperrt, gegen Gaddafi …

 

… und über Nacht plötzlich nicht mehr.

Genau, es gab dann doch eine UN-Resolution für einen Militäreinsatz und die Russen haben sogar zugestimmt! Allerdings wurde ausdrücklich zugesichert: kein Regime Change! Der dann doch kam, und Russland fühlte sich komplett über den Tisch gezogen. Seitdem ist klar, es gibt kein Vertrauen und keine Kooperation mehr. Spätestens seit 2012 ist der Sicherheitsrat völlig gelähmt.

 

Das klingt so ein bisschen als sei dieses Vertrauensverhältnis Westen-Russland ganz bewusst kaputt gemacht worden?

So nicht, aber die Haltung des Westens war: Wir spielen Champions League und Russland nur noch 3. Liga. Und es ist uns völlig egal, was die wollen. Diese Haltung zieht sich schon seit den Neunziger Jahren bis zum heutigen Tage durch. Beim NATO-Raketenschild sagte Russland zu Recht: Wir fühlen uns bedroht, weil unsere Abschreckung nicht mehr funktioniert. Trotzdem hat die NATO ihn installiert. Während des Kalten Krieges wurden die damals sowjetischen Sicherheitsinteressen noch ernst genommen. Jetzt gibt es keine Vertrauensbasis mehr, sondern nur noch ein Gegeneinander.

 

Bei allem Verständnis für russische Gefühle, russische Sicherheitsinteressen, die Fehler und die Arroganz der NATO: Putins Angriff auf die Ukraine ist trotzdem durch Nichts rechtfertigen! Für die Friedenspartei Die Linke ist das keine einfache Situation.

Ich habe null Verständnis für die Entscheidung des Kremls. Aus der Vorgeschichte des Krieges Verständnis abzuleiten oder zu sagen „es blieb ihm ja nichts anderes übrig“, finde ich völlig falsch. In jeder politischen Situation gibt es mehrere Optionen, und der Kreml hat bewusst die militärische Option gewählt. Dafür gibt es keine Entschuldigung und keine Rechtfertigung. Trotzdem müssen wir uns natürlich die Geschichte der letzten 30 Jahre, anschauen, um die gleichen Fehler künftig nicht zu wiederholen. Was machen wir in den nächsten 30 Jahren besser, damit wir in 50 Jahren wieder friedlich miteinander zusammenleben können? Darum muss es doch gehen! Es ist immer ein Fehler, den Nachbarn wie ein Stück Dreck zu behandeln.

 

Wie könnte denn irgendein realistisches Szenario für einen Friedensprozess aussehen?

Beide Seiten sagen sie wollen verhandeln. Aber beide Seiten sagen auch, sie bestehen auf Vorbedingungen. Wer eine Vorbedingung für Verhandlungen stellt, der will nicht verhandeln! Verhandlung fangen bei null an und dann kommt erst alles auf den Tisch. Rein militärisch gedacht werden die meisten wahrscheinlich sagen, der Krieg dauert noch vier bis zehn Jahre.

 

Bis zur völligen Erschöpfung einer oder beider Kriegsparteien?

Erschöpfung ist der falsche Begriff. Die Friedensforschung spricht von der „Reife“ eines Konfliktes. Die ist dann gegeben, wenn es ein militärisches Patt gibt, das beiden Seiten weh tut. Auf englisch mutually hurting stalemate. Das Patt haben wir schon, aber es tut beiden Seiten noch nicht so weh, dass sie aufhören wollen. Das ist eigentlich in allen großen Kriegen das Problem, das mindestens eine Seite glaubt, noch etwas gewinnen zu können. Deswegen wird teils jahrelang weitergemacht und am Ende kommt doch meistens nur das Ergebnis raus was ganz am Anfang schon auf dem Tisch lag. Es gibt eine Möglichkeit es zu beschleunigen: das Prinzip des großen Bruders. Wenn die wichtigsten Partner aller Kriegsparteien öffentlich Druck auf eine Verhandlungslösung machen, kann man sich dem irgendwann nicht mehr widersetzen. Deshalb kann ich mir durchaus vorstellen, dass wir in den nächsten 12 Monaten zumindestens den Beginn von Friedensverhandlungen sehen. Wie lange die dauern und was dann dabei rauskommt steht allerdings völlig in den Sternen.

 

Bleiben wir bei den Sternen: was würde eine US-Präsident Trump bringen?

Trump sagt ja immer kein Dollar für irgendwelche Ukrainer oder Russen. Die Europäer können und werden diese 60-Milliarden-Lücke nicht füllen, egal was Bundeskanzler Olaf Scholz dazu sagt. Dann wird es relativ schnell zu Verhandlungen kommen, weil die Ukraine dazu gezwungen wird. Allerdings droht dann ein Diktatfrieden und kein gerechter Frieden.

 

Wenn Trump Präsident wird und Russland diesen Krieg gewinnt. Marschiert Putin dann wirklich weiter nach Moldawien und danach auf NATO-Gebiet?

Genau das darf ja eben nicht passieren. Deswegen müssen wir ja so ernsthaft darüber nachdenken wie wir zu Diplomatie kommen. Im November 2022 war die Ukraine militärisch zum ersten Mal in der Vorhand. Die Russen mussten sich auf die Ostseite Dnjepers zurückziehen und die Region Kharkiv räumen. In dem Moment hätte die Ukraine verhandeln müssen. Aber stattdessen haben sich da manche wohl schon auf der Siegerstraße gesehen. Dabei hatte selbst der US-Generalstabschef darauf hingewiesen, dass man immer am besten verhandelt aus einer Position der Stärke.